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Die heimliche Pauline

04.06.2004
Die Zusammenarbeit zwischen Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss stellte sich als außerordentlich fruchtbar heraus. Da war zunächst “Elektra” (1909), dann der “Rosenkavalier” (1911), schließlich folgte “Die Frau ohne Schatten” (1914/18). Es war eine umfangreiche, märchenhafte und stellenweise apokalyptisch anmutende Oper, erwachsen aus dem Geist einer Zeit, die die menschliche Zerstörungswut in bislang nie da gewesener Brutalität vor Augen führte. Vielleicht war auch deswegen das beschauliche Happy End derart wichtig. Denn wer wollte schon in der Oper das fortgesetzt sehen, was der Erste Weltkrieg in der Realität an Schmerzen hinterlassen hatte.
Hofmannsthal war ein Schelm. In einer ersten Ideensammlung im Februar 1911 notierte er in sein Skizzenbuch: “Die Frau ohne Schatten (erster Einfall). Phantastisch-Komische Oper im Stil des Gozzi. Im Mittelpunkt eine bizarre Figur wie Strauss' Frau (Pauline). Die Frau, die ihre Kinder aufgeopfert hat, um schön zu bleiben (und ihre Stimme zu erhalten). Am Schluss bringen die Genien der Frau ihren Schatten und das Kind kommt in einem goldenen Kästchen den Fluss herabgeschwommen. Die Elemente der Zauberflöte. Knaben. Priester, Damen der Königin der Nacht. Tiere. Fackeln. Tempeleingang. Auf einer Insel? Oder an einem Flusse, analog der Situation in Goethes Märchen. Neid auf alle Wesen, die Schatten werfen. Der Schatten eines kreisenden Sperbers. Bizarrer Hass gegen den gutmütigen Mann. Die Frau eine Königin von Serendib. Zweigeteilte Götter- und Dämonenwelt”. Bis zum Abschluss des Librettos sollten noch reichlich Änderungen vorgenommen werden. Aber die Richtung war klar. Es sollte ein märchenhafter Stoff sein, der um das Motiv des fehlenden Schattens herum die Ideen von Liebe und Treue entwickelt. Eigentlich eine konservative Einstellung, die so gar nicht zum Fin-de-Siècle-Mann Hofmannsthal passte. Trotzdem machte es ihm Spaß und die Zusammenarbeit mit Strauss schließlich ging weit über das Maß an freundschaftlicher Verbundenheit hinaus, die ein Komponist mit einem Librettisten normalerweise pflegt.
 
Bei der Uraufführung am 10. Oktober 1919 an der Wiener Staatsoper sah sich das Publikum mit einer enorm aufwändigen, langen und inhaltlich komplexen Darstellung konfrontiert. Drei Stunden dauerte das Werk, drei Seinsformen (Geisterreich, Elfenreich, Menschen) wurden dargestellt, die Hauptpersonen waren vielschichtig charakterisiert. Dazu eine Musik, die aus dem Vollen schöpfte. Ein Arieneinstieg wie “Ach! Weh mir! Mein Liebster starr!” (Kaiserin) – das pustete ein noch nicht fernsehverwöhntes Publikum schlicht von den Sesseln. Die “Frau ohne Schatten” wurde ein Erfolg, musste allerdings wegen ihrer Länge in den folgenden Jahren einige Streichungen hinnehmen. Das wiederum empfand Sir Georg Solti als unbotmäßige Verstümmelung des Text- und Klanggefüges. Und so dirigierte er 1992 während der Salzburger Festspiele eine Version in Originallänge, die nun auf DVD mit mächtigem Surround-Sound vorliegt. Die gesamte Inszenierung wirkte dabei wie aus einem Guss. Bühne und Kostüme von Rolf und Marianne Glittenberg, das Licht von Franz Peter David ergänzten sich symbiotisch mit Soltis Vorstellung von musikalischer Klarheit. Darsteller wie Thomas Moser (Kaiser), Cheryl Studer (Kaiserin), Eva Marton (Färberin) und die fulminanten Marjana Lipovsek (Amme) und Robert Hale (Färber) machten auch auf der Bühne aus der Oper ein Erlebnis. Da konnte man prompt über die aus heutiger Perspektive arg sentimentalen Aussagen hinwegsehen, die aus “Frau ohne Schatten” eine Apotheose der ehelichen Familie mit Kindern machen. Entstanden unter dem Eindruck des Krieges und im Vorblick auf filmische Visionen etwa bei Fritz Lang bekommt eine Schlussszene wie der Seelenchor in “Nun will ich jubeln” eine Dimension des Mystischen, die in Salzburg mit Soltis dirigierendem Feingefühl selbst in nüchtern postmodernen Zeiten enorm ergreifend wirkt. Lang anhaltender Applaus war die Folge. Die DVD dokumentiert, wie berechtigt er ist.
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