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Der genarrte Narr

02.11.2005
Die Männer kommen im “Falstaff” nicht gut weg. Am Ende stehen eigentlich alle, mit Ausnahme des jungen, aber naiven Fenton wie die Trottel da, sind sie doch durch ihre überzogenen Leidenschaften in eine Falle nach der anderen getappt. Giuseppe Verdi jedenfalls hat sich mit der Shakespearesken Opernkomödie einmal mehr selbst übertroffen und die Adaptionen des Stoffes reizen bis heute geradezu zur burlesken Überzeichnung. Es ist daher eine große Kunst, die Waage zwischen Humor und Hintersinn zu halten und gerade das wurde der Unitel-Verfilmung unter der künstlerischen Leitung von Götz Friedrich besonders zugute gehalten. Jetzt ist sie in opulent remastertem Surround-Sound aus DVD erschienen. Ein Klassiker des Opernfilms.
Der Anekdote nach schrieb Giuseppe Verdi den “Falstaff” “zum Zeitvertreib”. Der Forschung nach hat er allerdings mehrere Jahre daran gearbeitet. Denn der Librettist Arrigo Boito hatte den 76-jährigen Komponisten und italienischen Nationalheroen herausgefordert. Er solle doch, hieß es in einem Brief, “mit einem gewaltigen Gelächter” von der Opernbühne abtreten. Verdi nahm sich den Rat zu Herzen und schrieb “Falstaff” als Quersumme drastischen Humors auf der Basis mehrerer Shakespeare-Dramen. So ist der beleibte Engländer in der italienischen Oper bis heute eine ungewöhnliche Figur, deren Reiz in der Herausarbeitung der Komik liegt, die nicht im Klamauk endet. Denn Möglichkeiten, in Slapstick abzugleiten, bietet der Stoff en masse.
 
Da ist zunächst der Titelheld, ein abgehalfterter Lebemann, der unter völligem Realitätsverlust leidend sich selbst für den Schwerenöter schlechthin hält, von den Frauen der Geschichte jedoch schnell entlarvt und mehrfach schmerzhaft an der Nase herumgeführt wird, bis er zum Schluss aller Verwicklungen die Welt an sich als große Komödie erkennt. Sein männlicher Widersacher, der eifersüchtige Ford, macht in seiner peinlichen, blinden Raserei der Eifersuchtsgefühle kaum eine bessere Figur und wird ebenfalls genarrt, als er im Rahmen des abschließenden Mummenschanzes irrtümlich seine Tochter Nanette mit ihrem Geliebten Fenton und nicht mit dem umtriebigen Dr. Cajus verlobt. Dieser wiederum versucht sich über drei Akte hinweg als Intrigant, steht aber zum Schluss als Gelackmeierter ohne die erhoffte Ehefrau da. Nur das weibliche Geschlecht kommt glimpflicher weg. Zwar scheint auch der cleveren Alice gegen Ende der Geschichte die Verschwörung gegen die eitle Männerwelt kurzfristig zu entgleiten. Doch summa summarum gehen die Rechnungen der Weiber von Windsor auf, denn die hochmütigen Herren bekommen ihr Fett ab.

Ein großartiger Abgang, wahrhaftig, den Verdi 1893 an der Mailänder Scala uraufführen ließ. Darüber hinaus ist es aber auch ein idealer Stoff für eine Verfilmung, die mit den verschiedenen Ebenen der Handlung jonglieren kann. Götz Friedrich machte sich 1979 in den Berliner Bufa-Studios daran, den Falstaff auf 35 mm zu bannen. Es gelang ihm ein Meisterwerk, von dem der Metropolitan Opera Guide in Video schwärmte: “Diese lebhafte Oper mit ihren oft parallel stattfindenden Ereignissen profitiert in hohem Maße von den Ortswechseln und der Mobilität des Films. Oft hat man wirklich eher den Eindruck einer lebendigen Nachbarschaft als den eines Zimmers, durch das zufällig ein Unzahl von Leuten eilt. Götz Friedrichs Regie ist sehr einfühlsam; die Bewegungen der Kamera und der Figuren haben einen rhythmischen Schwung, der fast immer der Musik folgt … Kameraführung und Choreographie sorgen in diesem ungewöhnlich komplizierten Werk durchweg für Klarheit und Vergnügen”. Dazu kommt natürlich auch die hervorragende musikalische Umsetzung. Als Orchester standen die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Sir Georg Solti zur Verfügung, den Falstaff sang der wunderbar telegene Gabriel Bacquier, den Ford übernahm der dynamische Richard Stilwell, die kesse Alice wurde von Karan Armstrong verkörpert. So setzte sich aus den passenden Einzelteilen eine ausgezeichnete Film-Inszenierung zusammen, die nun mit Hilfe modernster Studiotechnik außerdem im DTS 5.1 Surround Sound – wahlweise PCM Stereo – im Home Cinema auf DVD zu erleben ist.
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