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Am Pult mit Solti

27.06.2007
Heutzutage gehört das “Making Of” einer größeren Film- oder Musikproduktion bereits zum guten Ton einer seriösen DVD-Produktion. Es ist sogar so selbstverständlich geworden, dass man zuweilen sich gar nicht mehr klar darüber wird, wie viel Arbeit eigentlich hinter einer spannenden Dokumentation steckt. Mitte der sechziger Jahre aber waren solche begleitenden Aufnahmen eines Kunstevents noch völlig unüblich. Insofern betrat die BBC fernsehgeschichtliches Neuland, als sie 1964 ein Team damit betraute, dem Maestro Georg Solti bei der Arbeit an seiner ebenfalls wegweisenden Inszenierung von Wagners “Ring” über die Schulter zu blicken. Allen Beteiligten war bewusst, dass hier etwas Besonderes geschah und so ging nicht nur die Aufnahme der Musik sondern auch die Dokumentation “The Golden Ring” in die Annalen der Kulturgeschichte ein. Sie gehört zu den am meisten im Fernsehen wiederholten klassischen Musikreportagen und ist nun zusammen mit einigen im Surround-Sound remasterten Highlights der Solti-Aufnahme auf einer exklusiven DVD erhältlich.
Wenige Monate zuvor erst war Humphrey Burton zum Verantwortlichen für die Musikprogramme beim Kanal BBC2 ernannt worden, als eines Tages der Plattenproduzent John Culshaw und dessen Tontechniker Gordon Parry in der Tür seines Büros standen. Beide waren enthusiastische Wagner-Fans und begeistert von der Idee, den Dirigenten Georg Solti bei der Erarbeitung der innovativen und in ihrer Form bis dato einzigartigen Gesamtaufnahme des “Ring des Nibelungen” für die Plattenfirma Decca mit den Kameras zu begleiten. Burton war zunächst ein wenig überfordert, schließlich würde das bedeuten, nicht nur den bisherigen Rahmen derartiger Dokumentationen finanziell und organisatorisch zu sprengen, sondern darüber hinaus auch mit einer Proben- und Studio-Situation umgehen zu müssen, in der Künstler in der Regel alles andere als entspannt sind. Er zögerte, doch als sich mit den Kollegen vom ORF eine Kooperation anbahnte und außerdem die beteiligten Musiker Wohlwollen signalisierten, wurde das Projekt “The Golden Ring” schließlich doch in Angriff genommen.  Gefilmt und aufgenommen wurde in den Wiener “Sophiensälen”, bei den Proben und in den Pausen, hinter der Bühne und auf den Straßen, einschließlich kolorierender Szenen aus dem Alltag der früheren k. und k.-Metropole.
 
Und noch Jahre später erinnerte sich Burton mit einigem Respekt an diese ereignisreichen Wochen im Jahr 1964: “Wir drückten die Daumen, dass alles gut gehen werde, und versprachen Decca, dass von unseren Kameras oder der Beleuchtung keine Nebengeräusche zu erwarten waren. Nur einmal verstießen wir gegen diese Gebot: Während einer bedeutungsschwangeren Pause zwischen den ansteigenden Tönen zu Anfang von Siegfrieds Trauermarsch wurde ein Objektivaufsatz hastig von Weitwinkel auf Nahaufnahme gedreht, wobei ein dumpfer Laut entstand. ‘Unmusikalischer Kameramann!’, rief daraufhin der leutselige und erstaunlich tolerante Georg Solti (den britischen Adelstitel bekam er erst später verliehen), und die Aufnahmesequenz wurde abgebrochen. Dennoch blieb unsere Beziehung vertrauensvoll und Wunder über Wunder: Decca erlaubte uns, im Kontrollraum dabei zu sein, wo die Spannung vor Beginn der Einzelaufnahmen mich an den Countdown eines Raketenstarts erinnerte. Zu jener Zeit der schlichten, zweispurigen Aufnahme, des einfachen Rechts- und Linksstereo, musste alles im Zuge der Aufzeichnung abgemischt werden. Culshaw hatte etwas von einem Flugkapitän, umgeben von Reglern, Filtern und flackernden Messgeräten, während bewährte Kollegen zu beiden Seiten als musikalische Ausgucke und Steuerleute fungierten und nach dem Aufnahmeplan von Culshaw und Parry die einzelnen Tonkanäle zu- und ausschalteten.”
 
Resultat dieser generalstabsmäßig geplanten und durchgeführten Aufnahmesessions sowohl mit den Kameras wie den übrigen Mikrofonen, die während der Erarbeitung der “Götterdämmerung” entstanden, ist ein auch nach mehr als vier Jahrzehnten noch beeindruckendes Kulturdokument, das die Genese eines großen künstlerischen Augenblicks begleitet hat. Es vermittelt eine faszinierende Unmittelbarkeit im Umgang mit Koryphäen von Schlage eines Solti, einer Brigitte Fassbaender, Birgit Nilsson oder Kirsten Flagstad. Und es wurde für die DVD-Edition des “The Golden Ring” noch mit einem besonderen Bonus ergänzt: Denn mit den Möglichkeiten der heutigen Tontechnik rekonstruierten die  Spezialisten der Decca eine gute Stunde mit Highlights der berühmten Aufnahme im aktuellen Surround-Klang – ein einmaliges Hörerlebnis für alle Wagner-Liebhaber und Freunde opulenter Hörereignisse.
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