Herbert von Karajan | News | Lob der Dynamik

Lob der Dynamik

16.08.2002
Der Anekdote nach soll sich Herbert von Karajan anno 1951 beim Beginn der Generalprobe zu den “Meistersingern” in Bayreuth geweigert haben, ans Pult zu gehen, weil er gehört hatte, dass Furtwängler sich im Festspielhaus befinde. Jedenfalls war das Verhältnis des künstlerischen Sohnes zum ästhetischen Vater nicht eben unkompliziert. Trotzdem wurde Karajan zu einem der wichtigsten Dirigenten des vergangenen Jahrhunderts.
Er hatte Glück und konnte gut taktieren. Auf diese Weise war Herbert von Karajan bereits weitgehend unbeschadet durch Deutschlands finsterste Kulturepoche während der Nazi-Zeit gekommen. Er war darüber hinaus aber auch ein hervorragender Detailarbeiter und Verfechter musikalischer Genauigkeit. Das hat ihn letztlich an die Spitze der Nachkriegsgarde internationaler Dirigenten gebracht. Anno 1946 spielte er zum ersten Mal mit den Wiener Philharmonikern, zwei Jahre später bei den Salzburger Festspielen. Er leitete das Orchester bei der Wiedereröffnung des Bayreuther Festspielhauses, trat 1955 die Nachfolge Furtwänglers als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker und kurz darauf das Erbe Karl Böhms an der Wiener Staatsoper an. Karajans stringenter, auf effektvolle Dynamikkontraste, extreme Perfektion, Elastizität und Transparenz des Klangbildes getrimmter Personalstil wurde zur Grundlage modernen Orchesterverständnisses, auch wenn die Erfahrungen der historischen Aufführungspraxis manche seiner Interpretationen seit den siebziger Jahren erheblich modifizierten. Wie auch immer, er prägte die symphonische Welt der Nachkriegsjahre und schuf sich vor allem mit den Berliner Philharmonikern ein orchestrales Werkzeug, das ideal auf seine Vorstellungen der Correctness zugeschnitten war.
 
Mit den Wiener Philharmonikern allerdings gelang ihm das nicht so deutlich. Denn das Spitzenensemble, das er zwei Jahre lang als Chefdirigent (1948/49) leitete, war für seine Eigenheiten bekannt. Man merkt es den Aufnahmen vom März 1959 an, als sich Karajan mit den Musikern in den berühmten Sophiensaal begab, um Beethovens siebte und Haydns 104.Symphonie auf Platte festzuhalten. Trotz phänomenaler Genauigkeit etwa im schnellen 3.Satz von Beethovens Orchesterwerk, gibt es immer wieder Passagen, bei denen Kleinigkeiten der Interpretation verloren gehen, etwa die fehlende knisternde Spannung, die man von Live-Aufführungen gewohnt war, oder auch inhaltliche Momente wie die Hörner im Finalsatz, die im Gesamtklang verschwimmen. Für Haydn wiederum wählte Karajan eine beinahe preußische Zackigkeit, die das Ensemble stellenweise mit hintergründigem Humor, aber auch mit ironischer Trockenheit durchhielt. Beiden Werken jedenfalls nahm er sich später in seiner Karriere noch einmal mit den Berlinern an, Beethoven mehrmals, Haydn im Rahmen der Gesamtaufnahme der “Londoner Symphonien”. Die Wiener Versionen sind dabei vor allem als historische Momentaufnahmen interessant, die Karajan in Arbeit und Auseinandersetzung mit einem Orchester präsentieren, das sich nicht jeden Dirigentenrat gefallen ließ.
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