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High End

16.01.2004
Die Langspielplatte war erst wenige Jahre auf dem Markt und mit ihr die Möglichkeit, umfangreiche Werke sinnvoll aufzunehmen und wiederzugeben. Es war eine Zeit der Experimente, in der die Decca einen charakteristischen Klang entwickelte, der die Vorstellung von Oper auf Tonträger nachhaltig veränderte. Ein gutes Beispiel dafür ist Puccinis “Tosca”, in der Version unter Karajan vom September 1962, wohl eine der besten Einspielungen des Werkes, die jemals gelang.
Die Idee war im Grunde naheliegend. Mit dem Medium Langspielplatte und der gerade sich bewährenden Stereotechnik bekamen die Aufnahmeprofis ungeahnte Perspektiven an die Hand. Mit einem Mal war es möglich, räumlich zu arbeiten, Entfernungen und Bühnenpositionen akustisch abzubilden. Man hielt nicht mehr nur ein Mirkofon auf das Geschehen, sondern konnte mit mehreren Kanälen dramaturgische Geschehnisse abbilden. Das forderte zu Versuchsaufbauten heraus, mit denen man die Klangqualität weit zu erhöhen hoffte. Und deshalb rückte der Produzent John Culshaw im Herbst 1962 im Wiener Sophiensaal auch mit einem damals hochmodernen und selbstgebauten Sechs-Kanal-Pult an, das er über mehrere Zusätze bis auf sensationelle 18 Kanäle aufblasen konnte. Damit waren die Voraussetzungen gegeben, eine bislang ungewohnte Klangtiefe und räumliche Differenzierung festzuhalten, die einer Oper auf LP beinahe theatralischen Charakter verlieh. Da Culshaw darüber hinaus ein begeisterter Detailarbeiter war, kümmerte er sich darum, dramatische Effekte wie die Glocken im 1.Akt oder die Kanonenschüsse, die Napoleons Sieg signalisieren, mit Originalklängen (nicht mit Simulationen aus dem Orchestergraben) zu verknüpfen. So ergab sich schließlich eine technisch ausgefeilte Einspielung, die auch mehr als vier Jahrzehnte nach ihrer Entstehung durch enorme Transparenz, Energie und Dynamik überrascht.
 
Allerdings war das vor allem auch das Werk der Künstler, die vor den Mikrofonen standen. Herbert von Karajan war zu Beginn der Sechziger auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft und er hatte sich für die Aufnahme der “Tosca” ein ausgezeichnetes Team zusammengestellt. Die Titelrolle sang Leontyne Price, die erste schwarze Hauptdarstellerin in einer prominenten Opernrolle (die prompt auch von den ewiggestrigen Rassisten des Business wegen ihrer Hautfarbe angefeindet wurde). Ihr emotionales und zugleich zartes Timbre allerdings überzeugte alle Kritiker, die über Zuhören, nicht über Ideologien urteilten. So konnte man in der Zeitschrift Grammophone lesen: “Price produziert eine Flut warmer, grandioser Töne, und ihre Beachtung der Details ist beispielhaft”. Ihr Liebespartner auf der Bühne war Giuseppe di Stefano (Caravadossi), dessen ebenfalls verblüffend ausdrucksstarke Naturstimme perfekt mit Price harmonierte. Da er die gleiche Partie auch an anderer Stelle mit Maria Callas sang, dürfte er einer der profiliertesten Caravadossis sein, den die Operngeschichte zu bieten hat. Schließlich waren da noch der wunderbar artikulierende Giuseppe Taddei als Polizeichef Scarpia und natürlich die Wiener Philharmoniker unter Karajans und der Staatsopernchor unter Roberto Benaglios Ägide. Alles zusammen ergab die Mischung, von der es dann im Penguin CD Guide hieß: “Auf durchgehend höchstem Niveau befindet sich die in Wien aufgenommene Einspielung Karajans, die durch die lebendige und ausdrucksstarke Interpretation der Hauptdarsteller besticht. […] Das Spiel der Philharmoniker ist faszinierend – ausgefeilter und prächtiger als man es normalerweise in einer Puccini-Oper erleben kann”.
 
Die Referenz:
 
“Diese Aufnahme aus den Wiener Sofiensälen klingt heute noch so, als ob sie gerade erst von einem erstklassigen Team produziert worden wäre. Auch vom Musikalischen her zählt Tosca zur ersten Garnitur unter den Konkurrenzaufnahmen.” (K. Breh in stereoplay 1/89)
 
Näheres zur Referenz-Reihe unter http://www.referenzaufnahmen.de
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