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Ein idealer Augenblick

04.06.2004
Die Salzburger erlebten 1965 eine gutes Festspieljahr. Am Pult der Wiener Philharmoniker gaben sich Kubelick, Schuricht, Böhm, Mehta und der junge Abbado den Taktstock in die Hand. An Opern waren neben Klassikern von Mozart auch “Boris Godunow”, “Macbeth”, “Elektra” und “Ariadne auf Naxos” geboten. Es gab eine Menge Höhepunkte, doch eines der großen Musikereignisse fand erst am Vormittag des letzten Tages statt. Da dirigierte Karajan Haydns “Schöpfung” und schuf ein Dokument musikalischer Finesse, das nun in der Edition der Festspieldokumente auf CD nachzuerleben ist.
Herbert von Karajan konnte sich auf sein Team verlassen. Mit dem Chor des Wiener Singvereins war er bereits seit der Nachkriegszeit intensiv verbunden. Die Musiker waren mit seinem Dirigierstil vertraut und folgten ihm bis in die dynamischen Feinheiten mit Begeisterung. Ähnlich eng war die Beziehung zu den Philharmonikern. Auch wenn es Phasen gab, in denen Karajan im Zerwürfnis mit dem Orchestern nicht mehr in Wien auftrat, so gehörte das Ensemble in Konkurrenz zu den Berlinern doch zum sensibelsten Klangkörper, den sich ein Dirigent wünschen konnte. Und dann waren da noch die ausgezeichneten Solisten, die Karajan ebenfalls aus verschiedenen Engagements kannte. Die Sopranistin Gundula Janowitz hatte er 1960 an die Wiener Oper geholt, was zugleich eine Bereicherung für das Haus und den Start der internationalen Karriere der Österreicherin bedeutete. Der Tenor Fritz Wunderlich war ebenfalls auf Initiative Karajans an die Wiener Oper gekommen, nachdem er 1959 als aufsteigender Gesangsstar in Stuttgart der Musikwelt aufgefallen war. Hermann Prey wiederum war seit 1960 fest mit dem Salzburger Festspiel-Ensemble verbunden und sang dort vor allem Mozart und Rossini. Der finnische Bass Kim Borg wiederum war kurzfristig eingesprungen, erwies sich aber als ausdrucksstarker Raphael, auch wenn die Meinungen darüber auseinander gingen.
 
Insgesamt jedoch dominierte das Lob für diesen Konzertsonntagmorgen des 29.August 1965. Stellvertretend für die durchweg faszinierte Öffentlichkeit konnte man etwa in Die Presse lesen: “Karajan dirigierte gelöst und heiter, mit ruhigen Tempi, wo Chor und Orchestern nicht aufbegehren und auch nicht jubeln, sondern nur erfreut von ‘einer neuen Welt’ berichten. Und war immer bedacht, seine Sänger ins rechte Licht zu stellen: Gundula Janowitz, die als Gabriel glockenrein und sicher sang; Fritz Wunderlich, dessen Uriel die richtige Mitte zwischen männlichem Stolz an der aufgezeigten Schöpfung und der innerlichen Anteilnahme an der Poesie dieser Bilder hielt; Hermann Prey, gemeinsam mit der Janowitz wohl die idealste Verkörperung des reinen, unschuldigen Menschenpaares, die man sich vorstellen kann; und auch Kim Borg, den in vorletzter Minute als Raphael herbeigeschafften Sänger, der wohl selbst wusste, dass er nicht der ideale Interpret dieser Partie ist und der doch selten so locker und frei gesungen hat wie damals. […] Darin liegt wohl das Geheimnis dieses grandiosen Konzertes, das man lange nicht vergessen wird: dass zu der oft großartig naiven und mitunter beschaulichen und betenden Musik Haydns alle Präzision und aller Glanz kam, den man in unseren Tagen von einem besonderen Erlebnis erwartet. Dass aber die Präzision und der Glanz die Naivität und Beschaulichkeit nicht störten, sondern in einem reinen, herrlichen Licht darboten”. Mit anderen Worten: Karajans Haydn war ein opulenter Akt der “Schöpfung”, der dem Kern des Werkes so nah wie irgend möglich kam, eine Interpretation mit wegweisendem Charakter.
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