Herbert von Karajan | News | Der Klassiker

Der Klassiker

30.07.2004
Beethovens Fünfte zählt zu den größten Herausforderungen für jeden Dirigenten. Denn so bekannt das Eingangsthema ist, so schwierig ist es, die in ihm liegende Spannung über das ganze Werk hinweg aufrecht zu erhalten. So hat auch Herbert von Karajan sich sein Leben lang immer wieder an der “Schicksalssinfonie” versucht. Und seine Version aus den frühen Sechzigern gehört zu den besten Interpretationen, die jemals aufgenommen worden sind.
Für die “Sinfonie in c-Moll op. 67” brauchte Beethoven besonders lange. Bereits 1804 hatte er mit der Arbeit angefangen, doch fertiggestellt wurde sie erst, nachdem er bereits eine weitere Sinfonie entworfen hatte. Uraufgeführt wurde sie am 22.Dezember 1808 im Theater an der Wien unter der Leitung des zunehmend ertaubenden Komponisten. Daher passt es auch gut ins Bild, dass eine Sentenz überliefert wurde, die Beethoven angeblich mit Bezug auf das berühmte Thema gesagt haben soll: “So pocht das Schicksal an die Pforten”. Der Ausspruch ist nicht gesichert, trotzdem verdeutlicht er klar die innere Spannung, unter der vor allem der erste Satz steht. Das dramatische, nur aus vier Tönen bestehende “Schicksals-Motiv” dominiert eindeutig das Geschehen und drängt das zweite Thema immer wieder zurück. Auch über den zweiten und dritten Satz hinweg wird diese Gegensätzlichkeit von Tragik und Befreiung durchgehalten, bis endlich im Finale sich der Kampf der Stimmungen doch vom melancholischen c-Moll zum positiven C-Dur wendet.
 
Für einen Dirigenten bedeutet dieser Aufbau, dass er den Spannungsbogen über die gesamte Länge des Werkes hinweg entwickeln muss. “Vergessen sie ihre ersten hundert Aufführungen der Fünften!”; meinte daher der alte Karajan zu jungen Kollegen, die ihn um Rat fragten. Er selbst hatte sie im September 1938 bei seinem zweiten Konzert mit den Berliner Philharmonikern zu ersten Mal dirigiert und von da an immer wieder im Programm gehabt und auch mehrfach aufgenommen. Aber erst der Mitschnitt von 1962 entsprach seinen Vorstellungen von Klarheit und Dramatik und wurde schnell eine der bekanntesten Einspielungen des Werkes, die im gleichen Atemzug mit Nikisch (1913) und Furtwängler (1937) genannt wird.
 
Die sechste Sinfonie schrieb Beethoven in Heiligenstadt in den Jahren 1807 und 1808, während er noch an den letzten Feinheiten der fünften arbeitete. Und er führte sie am gleichen Abend wie das chronologisch frühere Werk auf. Allerdings ist ihr Charakter ein anderer. Gehalten in F-Dur wirkte sie um einiges fröhlicher als das c-moll-Pendant des Abends und bekam daher den Beinamen “Sinfonia pastorale”. Noch etwas war anders. Zum ersten Mal versah der Komponist die einzelnen Sätze mit ausführlichen Überschriften, deren Eindeutigkeit er aber gleich wieder in Frage stellt: “Man überlässt es dem Zuhörer, die Situationen ausfindig zu machen. Sinfonia caracteristica oder eine Erinnerung an das Landleben. Jede Malerei, nachdem sie in der Instrumentalmusik zu weit getrieben, verliert. […] Auch ohne Beschreibung wird man das Ganze, welches mehr Empfindung als Tongemälde, erkennen”, gab Beethoven zu bedenken und überließ die Nachwelt dem Grübeln. Karajan jedenfalls deutete die “Pastorale” im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung durchaus unterschiedlich.
 
Da gab es zum Beispiel eine Aufnahme von 1953 mit dem Philharmonia Orchestra, die vergleichsweise zärtlich mit den musikalischen vorgaben umging. Die Version von 1962 hingegen versuchte, möglichst klar dem Komponisten zu folgen und wurde deshalb stellenweise kritisiert. Besonders der schnelle erste Satz – Karajan wählte ein Tempo zwischen 57 und 62 Schläge pro Minute, Beethoven hatte sogar 66 vorgeschlagen – stieß auf Unverständnis. Die Interpretationen der Folgejahre allerdings zeigten, dass sich immer mehr Kollegen auf diese Tempoeinschätzung einließen. So sind die Aufnahmen der Fünften und Sechsten neben der der Neunten das eigentliche Kernstück des Beethoven-Zyklus. Und mit den verfeinerten Wiedergabetechniken der SACD sind sie nun in völlig neuer Frische zu erleben. Denn der transparente und präsente Raumklang der Mehrkanaltechnologie ermöglicht es endlich, sich anstelle des Dirigenten zu fühlen und dessen Musikerlebnis nachvollziehen zu können. Ein besonderes Erlebnis.
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