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Unerhörte Gefühle

02.01.2008
Dem Komponisten war es ein Anliegen, dass seine Oper als etwas Besonderes wahrgenommen wurde. Im Januar 1878 schrieb Peter Tschaikowsky an seinen ehemaligen Schüler Sergej Tanejev: “Wenn je Musik mit aufrichtiger Leidenschaft komponiert worden ist, mit Liebe zur Handlung und ihren Charakteren, dann ist es die Musik zu ‘Onegin’. Ich bebte und zerfloss vor unsagbarer Wonne, als ich schrieb. Wenn der Hörer auch nur den geringsten Teil dessen empfindet, was ich erlebte, als ich diese Oper komponierte, so werde ich ganz und gar zufrieden sein und nicht mehr erbitten”.
Er ist ihm gelungen, denn bis heute zählt “Eugene Onegin” zu den emotionalen Höhepunkten spätromantischer Bühnenmusik und lädt zum melodramatischen Schwelgen ein, insbesondere wenn eine Institution wie die Metropolitan Opera sich des Stoffes annimmt.

Ob allerdings Alexander Puschkin wirklich einverstanden mit der Bearbeitung seinen Versromans “Eugene Onegin” durch Landsmann Tschaikowsky gewesen wäre, ist zweifelhaft. Schließlich wurde doch einiges verändert. Aus dem hochgeistig sympathischen Protagonisten seiner Vorlage, einem typischen Vertreter der russischen bürgerlich-aristokratischen Gesellschaft um 1830 war ein stellenweise skrupelloser oder zumindest gelangweilter Salonlöwe des Fin de Siécle geworden, der ein Fest durch sein provozierendes Verhalten stört, mit dem Herzen einer jungen Frau rüde umgeht und noch dazu seinen besten Freund bei einem Duell über den Haufen schießt.

So machte der Komponist während der Arbeiten an der Oper klar, dass es vor allem die Gestalt der Tatjana war, die es ihm angetan hatte. In einem Brief an seinen Bruder Modest im Mai 1877 meinte er: “Vielleicht wird es ein wenig Handlung geben, aber ich bin in die Gestalt Tatjanas verliebt. Ich bin von den Versen Puschkins verzaubert und vertone sie, weil ich nicht anders kann … Ich habe bereits das ganze zweite Bild des ersten Aktes (Tatjana und ihre Amme) niedergelegt, und ich bin sehr damit zufrieden. Der größte Teil des ersten Bildes ist auch bereits geschrieben”. Überhaupt gingen während der Arbeit an “Eugene Onegin” Wirklichkeit und Werk ineinander über. Es war die Zeit der missglückten Ehe Tschaikowskys mit seiner Verehrerin Antonina Miljukowa und so manche emotionale Reflexion über dieses gescheiterte Experiment floss auch in die Figurencharakteristik Tatjanas, besonders in ihre vergleichsweise starke Position gegenüber dem Schwerenöter Onegin ein.
 
Denn immerhin musste sie nicht sterben, wie viele andere Frauengestalten der Opernwelt, sondern am Ende ist es der zunächst so stark wirkende Titelheld, der mit “Schmach! Schmerz! Oh mein elendes Geschick!” von der Bühne geht. In der im Februar 2007 an der New Yorker Metropolitan Opera verwirklichten und nun auf DVD erhältlichen Inszenierung unter der musikalischen Leitung des Chef des St.Petersburger Marientheaters Valery Gergiev übernahm Dimitri Hvotostrovsky den Part des Onegin mit der grau melierten Eleganz des Aristrokraten und hatte die Ehre, mit einer der reizvollsten Tatjanas der vergangenen Jahre zu kokettieren.

Die von Tschaikowsky als eigentliche Paraderolle des Werks angelegte Figur wurde von der Starsopranistin Renée Fleming verkörpert. Und noch ein weiterer Star des gegenwärtigen Opernhimmels war mit von der Partie. Denn die Rolle des im Duell getöteten Dichterfreundes Lenski übernahm Ramón Vargas. So wundert es kaum, dass das New York Magazine zu der Aufführung zusammenfassend meinte: “Breathtakingly beautiful!” Die unter der Regie von Opernfilmspezialist Brian Large in High Definition Widescreen festgehaltene DVD-Version enthält neben dem Hauptwerk außerdem Aufnahmen der Proben und ein Special “Backstage At The Met” mit der im vergangenen Jahre verstorbenen Grande Dame des Hauses Beverly Sills.
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