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Göttliche Stimmen

04.10.2006
Begriffe nützen sich ab. Heutzutage wird jedes bessere Popsternchen als “Diva” apostrophiert, häufig in Ermangelung umfassenderer Kenntnisse der historischen Bedeutungen des Wortes. Denn ursprünglich waren es die “Göttlichen” der Opernbühnen, die im prämedialen Kulturzeitraum des Fin de Siècle die Menschen im Saal für die Momente einer Arie oder eines Stückes in Sphären entführten, die den Alltag hinter sich ließen. Es waren Kunst- und Kultgestalten, deren Ankunft etwa auf einem Ozeandampfer in Europa eine Titelschlagzeile wert war. Es waren Sängerinnen wie Geraldine Farrar, Mary Garden oder Lotte Lehmann, für die Komponisten ganze Opern schrieben und die auf Renée Fleming bereits in Studententagen eine ungeheurere Ausstrahlung hatten. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die amerikanischen Sopranistin diesem Erbe ihrer Zunft widmete und und den Grandes Dames ein musikalisches Denkmal setzt.
Nun ist Renée Fleming selbst keine Unbekannte mehr. Im Gegenteil: Die amerikanische Sopranistin gehört zu den gefragtesten Interpretinnen ihrer Generation und die internationalen Operhäuser konkurrieren um die Ehre eines ihrer Gastspiele. Trotzdem wird auch sie wieder zu einer staunenden Novizin, wenn sie an die berühmten Persönlichkeiten des “Goldenen Zeitalters der Stimme” denkt: “An der Jahrhundertwende, im späten 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert, fasziniert mich unter anderem, dass die meisten von mir bewunderten Künstler stets auch neue Werke sangen. Das Publikum war ziemlich gewöhnt daran, in jedem Konzert Erstaufführungen zu hören, anders als heute, wo eine Welturaufführung ein echtes Ereignis ist. Es unterscheidet sich völlig von der Aufführungspraxis  des 21.Jahrhunderts, in dem die Gesangskunst eigentlich eine historische Kunst geworden ist. Ich finde es wunderbar, dass diese Sängerinnen tatsächlich mit den Komponisten gearbeitet haben, dass sie sie kannten und dass ein großer Teil des Repertoires für sie geschrieben und komponiert wurde, für ihre jeweilige Stimme, ihr Temperament, ihre Persönlichkeit. Selbst ihr Aussehen hat eine Rolle gespielt.
 
Auch war die Lebensweise dieser Sängerinnen legendär – Künstlerinnen wie Geraldine Farrar, Rosa Ponselle, Maria Jeritza übten großen Einfluss aus. Sie warben für Parfüm, später für Zigaretten und alle möglichen anderen Dinge. Sie waren Persönlichkeiten, Berühmtheiten, Diven und Hollywood-Stars – es war eine ganz andere Zeit”. Maria Jeritza (1887–1982) etwa war von den 1910er Jahren an der Star der Wiener Opernszene, wirkte bei Uraufführung von Richard Strauss “Ariadne auf Naxos” und “Frau ohne Schatten” mit, bevor sie von 1921 an zunehmend auch an der Met, in London und Paris gefeiert wurde. Sie setzte sich für Janaceks Oper “Jenufa” ein und wurde auch von Erich Wolfgang Korngold mit eigenen Rollen bedacht. Der Erfolg von “Die tote Stadt” (1920) wäre weitaus schmäler ausgefallen, wäre nicht die Jeritza an ihm beteiligt gewesen. Und auch “Das Wunder der Heliane” (1927) wurde zunächst für die tschechische Diva geschrieben – auch wenn sie schließlich von ihrer Rivalin Lotte Lehmann während der Wiener Uraufführung gesungen wurde. Für Fleming jedenfalls ist es eine Möglichkeit, mit “Ich ging zu ihm” aus den Tiefen eines immensen Melodienschatzes zu schöpfen, der Korngold zu einem der beliebtesten Bühnen- und Filmkomponisten seiner Ära werden ließ. (Fortsetzung folgt)

Teil2 der Serie Göttliche Stimmen mit Renée Fleming: Die Königin vom Nil
Teil3 der Serie Göttliche Stimmen mit Renée Fleming: Fleming’s Favourite

Weitere Informationen zum Album finden Sie auch auf der internationalen Künstlerseite von Renée Fleming unter www.reneefleming.com
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