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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit …

18.10.2006
In einem umfangreichen Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel in dieser Woche antwortet die Sopranistin Anna Netrebko auf die Frage, was heutzutage eine Diva ausmache, mit klaren Worten: “Sie muss freundlich sein, sonst wird sie schnell wieder nach Hause geschickt. Das Zeitalter der Diven ist vorbei. In den fünfziger Jahren konnte man sich vielleicht Zickigkeiten erlauben. Heutzutage gibt es einfach zu viele gute Sängerinnen”. Weit weniger pragmatisch jedoch sieht Netrebkos Kollegin Renée Fleming die Situation. Denn sie ist fasziniert von der Idee der Diva, wenn auch in einer versöhnlicheren, vor allem auf die Kunst bezogenen Form: “Der Begriff Diva hat inzwischen so viele Bedeutungen; aber letztlich bezieht er sich – und hat das immer getan – auf die göttinnenhafte Fähigkeit einer Opernsängerin, uns auf der Bühne das Gefühl zu geben, sie sei tatsächlich nicht von dieser Welt”.
Musik ist mehr als nur der akustische Klangeindruck. Wenn man sie erleben und ihr eine besondere Bedeutung oder eine individuelle Verkörperung zuordnen kann, wird sie gar zu einem Ereignis, das Biographien bestimmt, Menschen verändert. Für Renée Fleming ist dieses Bild eng mit der Idee der Diva verknüpft, die eben genau diese empfundene Nähe zum Numinosen bei gleichzeitiger Ferne der für Phantasmagorien offenen Kunstfigur darstellen kann: “Das ist eine Vorstellung, die wir immer noch lieben, weil wir als Hörer von unseren Alltagssorgen erlöst und emotional angesprochen werden wollen. Wenn ich eine Vorstellung besuche, will ich dies auch; es ist jedoch eher große Kunst, die einer Aufführung diese göttliche Qualität verleiht, und nicht theatralisches Getue. Maria Callas ist die bekannteste Verkörperung einer ‘Diva’ in jüngerer Zeit – zumindest nach dem, was man in ihren Aufnahmen hören und in den wenigen vorhandenen Video-Aufnahmen sehen kann, wenn man sie nie in einer Aufführung erlebt hat”. Von dem Moment an, als Fleming sich entschloss, eine Hommage an die illustren Sängerinnen des vergangenen Jahrhunderts zu gestalten, war klar, dass trotz aller Vorbehalte gegenüber dem Showanteil des Diventums ein wenig Inszenierung nicht fehlen durfte: “Ich wollte wirklich etwas vom Stil jener Epoche einfangen – tatsächlich hat für mich alles an einer Komposition mit Stil zu tun. Dieser Punkt interessiert mich am meisten. Das Visuelle war hochgradig manieriert; und wir haben versucht, ein wenig davon mit der Verwendung historischer Kostüme einzufangen.”
 
So ist “Homage – The Age Of The Diva” mehr als nur ein ausgezeichnetes Arienalbum. Es ist das Resultat einer umfassenden Rekonstruktionsarbeit, mit der musikhistorische Zusammenhänge erfasst, gedeutet und für Flemings Stimmqualitäten vorbereitet wurden: “Die Forschungsarbeit für dieses Projekt dauerte ein ganzes Jahr. Als ich anfing, war mir klar, dass ich drauf und dran war, mich wieder in ein vollkommen neues Repertoire zu engagieren. So bin ich als Musikerin – ich muss meinen musikalischen Horizont erweitern, indem ich Neues entdecke. So erhalte ich mir die Begeisterung für meine Arbeit.” Für ihre Fans wiederum bedeutet es, dass es auch auf dem Album “Homage” vieles zu entdecken gibt. Seltene Opern bekannter Komponisten wie etwa Tschaikowskys “Oprichnik”, Rimski-Korsakows “Servilia” oder Smetanas “Dalibor” stehen gleichberechtigt neben Klassikern etwa aus Puccinis “Tosca” oder Verdis “Il Trovatore” und kaum noch geläufigen Arien aus Korngolds “Die Kathrin”, “Das Wunder der Héliane” oder Cileas “Adriana Lecouvreur”. Beeindruckend ist dabei nicht nur Flemings betörende stimmliche Kompetenz, sich in die Klangwelt der großen Vorgängerinnen von Mary Garden bis Geraldine Farrar einzuführen, sondern auch die Zusammenarbeit der Sopranistin mit Valery Gergiev und dem von ihm angeleiteten Orchester des Mariinsky Theaters: “Er engagiert sich sehr für die Musik und ist eine große Stütze für die Sänger. Ihm gelingt alles wunderbar und auf Anhieb. Und die Arbeit bereitet ihm großes vergnügen. Das Ego dominiert nicht, nur die Liebe – die Liebe zur Musik”. Was will man mehr …
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