Mitsuko Uchida | News | Pianissimo

Pianissimo

02.01.2004
Beethoven saß ihm immer im Nacken. Er war der mal heimliche, mal offen formulierte Maßstab, an dem Franz Schubert sein eigenes Können orientierte. Obwohl dessen Herangehensweise an Musik bereits aus völlig anderen, romantisch geprägten Quellen schöpfte, hoffte er zeitlebens, die imponierende Größe des Wiener Klassikers zu erreichen, bis hin zu seinen letzten Klavierstücken von 1848. Dabei war Schubert längst selbst ein Meister und subtiler Revolutionär der pianistischen Form.
Der Tod Ludwig von Beethovens im März 1827 bedeutete für viele Zeitgenossen einen epochalen Einschnitt. Mit dem in späten Jahren wunderlich gewordenen Star der Wiener Komponisten-Szene ging eine Ära zu Ende. Auch Franz Schubert wagte zunächst kaum, weiter umfassende Werke für das Klavier zu komponieren, dem Beethoven mit seinen späten Sonaten den Weg gewiesen hatte. Erst mehr als ein Jahr später, selbst inzwischen von der dunklen Wolke des herannahenden Todes trotz jugendlichem Alter umweht, vollendete er im September 1828 nach dreimonatiger Arbeit einen Zyklus mit drei Sonaten, die zum Anspruchsvollesten und zugleich Rätselhaftesten gehörten, das Schubert zu Papier gebracht hat. Insgeheim hoffte er darauf, wohlmöglich mit deren Erscheinen im Druck den eigenen Ruhm in der Nachfolge der Wiener Klassik zu fundamentieren. Doch aus der Veröffentlichung wurde nichts, der Trend wollte sich nicht wenden – gerade mal zehn Prozent von Schuberts Werken wurden zu seinen Lebzeiten verlegt – und so dauerte es lange Jahre, bis Anton Diabelli sie schließlich edierte.
 
Dabei war vor allem die letzte “Sonate B-Dur, D 960” ein entrücktes, somnambules Manifest der pianistischen Ausdrucksmöglichkeiten. Eher eine Sammlung von Impromptus als eine nach strengen Regeln durchformte Satzform, perfektionierte Schubert damit sein kompositorisches Prinzip des Fortspinnens von Motiven. Die Sonatenarchitektur stand im Hintergrund, die gestalterischen Details hingegen entwarfen eine beeindruckende Palette die Klangfarben, die hintergründig und kontrastreich gegenüber gestellt wurden. Vieles war nach wie vor vorhanden – die typisch akkordliche Begleitung, die modulationslosen Wechsel zwischen Dur und Moll -, wurde aber in leiser, bis auf das Scherzo dunkler Grundstimmung durchgeführt. Das wiederum stellte hohe Ansprüche an das musikalische Verständnis der Interpreten, die wenig Offensichtliches zum Brillieren bekamen, dafür reichlich Strukturarbeit und Nuancierungen zu leisten hatten. Mag sein, dass diese Intensität Schuberts Zeitgenossen überfordert hätte, in jedem Fall blieb die Sonate ähnlich der wenige Wochen zuvor entstandenen und von Johannes Brahms erst 1868 unter dem Titel “Drei Klavierstücke op. 946” veröffentlichen Kompositionen lange Jahre unentdeckt. Sie ist ein frühes Spätwerk eines 31jährigen, eine Herausforderung an die interpretatorische Balance.
 
Die japanische Pianistin Mitsuko Uchida versteht die Sonate daher als melancholisches Testament eines Missverstandenen und gibt ihr im Pianissimo eine Kraft, die vielen Werken selbst in dynamischen Spitzen nicht gelingt. Im Mai 1997 im Saal des Wiener Musikvereins aufgenommen, präsentiert sie Anschlagkultur, Tempo- und Gefühlssicherheit Arrauscher Größe, die der Kritiker der Süddeutschen Zeitung Klaus Bennert nachdrücklich würdigte: “Die emotionale Vehement, mit der sie sich auf die Abgründe von Schuberts später B-Dur-Sonate einlässt, erlaubt höchste Vergleiche”.
 
Die Referenz:
 
“Diese Einspielung fängt Uchidas subtile, transparente Klangwelt vortrefflich ein. Insgesamt handelt es sich um eine aufschlußreiche Aufnahme einer Schubertianerin, die sich durch ein seltenes Maß an Klarsicht und Spiritualität auszeichnet.” (The Grammophone)
 
Näheres zur Referenz-Reihe unter http://www.referenzaufnahmen.de