Mitsuko Uchida | News | Jenseits von Ludwig

Jenseits von Ludwig

19.11.2004
Erfolg zu Lebzeiten hatte Franz Schubert vor allem mit den kleinen Werken. Seine Sonaten hingegen blieben bis auf drei Ausnahmen unveröffentlicht. Dabei versuchte er gerade in den ausladenderen Kompositionen sich in Beziehung zu dem Übervater der Klaviermusik Ludwig van Beethoven zu setzen und seine eigene Position heraus zu arbeiten. Für die Pianistin Mitsuko Uchida jedenfalls ist die Auseinandersetzung mit dem Werk des Wiener Hochromantikers die erste künstlerische Wahl. Nun sind alle Einspielungen der vergangenen Jahre in einer Box zusammengefasst erschienen.
Die Sonaten waren für Franz Schubert von Anfang an ein Kampf, wenn auch ein produktiver. Über 13 Jahre verteilt hat er insgesamt 21 angefangen, wobei allerdings nur 12 vollendet wurden. Im Unterschied zu Beethovens nach strengen Formprinzipien gebauten Werken, bei denen eine klare kompositorische Linie die Themengestaltung dominierte, ließ Schubert sich mehr treiben. Er entwickelte Motive über lange Spannungsbogen hinweg, betonte das lyrische Element im Gegensatz zum dialektischen und schaffte es auf diese Weise, eine bunte Palette harmonischer, dynamischer und melodischer Variationen zu entwerfen. Sein Interesse galt dem gestalterischen Detail, der klangarchitektonische Überbau war bestenfalls Mittel zum Zweck, aber nie Sinn einer Komposition. Erst mit den drei späten Sonaten D958–960, die 1828 nach dem Tod Beethovens entstanden, löste er sich komplett von den latent vorhandenen Vorgaben und erwies doch zugleich dem Vorbild indirekt die Referenz, indem er sich behutsam etwa rhythmisch auf den Schlusssatz der “Kreutzer-Sonate” (D958) oder auch anklanghaft auf die Motivik der “Pathétique” bezog. Mit der D960 schließlich nahm er, selbst bereits von schwerer Krankheit gezeichnet, Abschied vom Klavier, hymnisch und ungewöhnlich ausladend, ätherisch und stellenweise bedrohlich.
 
Für die Pianistin Mitsuko Uchida jedenfalls war Schubert die eigentliche Herausforderung, auch wenn sie sich zunächst Mozart zuwandte: “Es war die G-Dur-Sonate, D 894 von Schubert, die mich erstmals mit [dem Produzenten] Erik Smith zusammenbrachte. Ursprünglich hatte er geplant, Schuberts Klaviermusik aufzunehmen. Aber der Mozart-Boom, der auf ‘Amadeus’ (Schauspiel und Film) folgte, sowie meine Konzertreihen mit sämtlichen Klaviersonaten von Mozart in der Londoner Wigmore Hall und der Suntory Hall in Tokio ließen uns schließlich mit Mozart beginnen. Erst zwölf Jahre später kamen wir zu Schubert”. Dafür aber konnte sich Uchida von 1997 an bis zur Fertigstellung ihres Schubert-Zyklus fünf Jahre später ausführlich und intensiv mit dem vielschichtigen Werk des Romantikers auseinandersetzen. So entstanden Aufnahmen der Sonaten, aber auch der “Moments Musicaux D 780”, der Tänze D820 und D790, der “8 Impromptus D899 und D935” und der “3 Klavierstücke D946”, die nun auf acht CDs zusammengefasst in einer Box erscheinen.

Es ist eine in Einzelteilen mehrfach preisgekrönte Basisdiskothek des Schubert’schen Klavieroeuvres, das von der spieltechnischen Souveränität wie der gleichzeitigen interpretatorischen Durchdringung der Werke geprägt ist. Mit anderen Worten: Es ist eine grandiose Einführung in das Denken und Schaffen des großartigen Komponisten auf oberstem künstlerischen Niveau.