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Meisterwerke der Venezianischen Mehrchörigkeit – ’1612: Italian Vespers'

Robert Hollingworth, I Fagiolini  Decca Danny Higgins
© Decca/Danny Higgins
07.06.2012
Die vorliegende Aufnahme von Giovanni Gabrielis verloren geglaubtem Magnificat bildet den Höhepunkt einer musikalischen Detektivgeschichte. Angesichts der lediglich acht erhaltenen von ursprünglich 28 Stimmen galt eine Rekonstruktion des Werkfragments als völlig ausgeschlossen bis Hugh Keyte, Experte für Alte Musik, eine Reihe aufschlussreicher Indizien entdeckte. Mithilfe der Erfahrung seiner langjährigen wissenschaftlichen Forschungsarbeit und einer guten Portion Vorstellungskraft gelang es Keyte gemeinsam mit Robert Hollingworth und I Fagiolini, das Stück zu neuem Leben zu erwecken und für “1612: Italian Vespers” erstmals überhaupt aufzunehmen.

1612 – Ein musikalisches Wendejahr

Der Titel des neuen Albums des von Robert Hollingworth geleiteten Vokalensembles I Fagiolini bezieht sich auf das epochale Jahr 1612. Es ist das Todesjahr Gabrielis, des brillantesten unter den venezianischen Chorkomponisten. Claudio Monteverdi wurde im selben Jahr aus seiner Anstellung in Mantua entlassen und begab sich bald darauf nach Venedig. Und sein früherer Kollege Lodovico Viadana veröffentlichte 1612 eine Sammlung vierstimmiger Vesperpsalmen, deren Anlage im Vergleich zu Monteverdis Versperspalmen aus dem Jahr 1610 weitaus zukunftsweisender erschien. Geschrieben für deutlich schärfer voneinander getrennte Gruppen von Solisten, Chor und zwei begleitende Chöre (hier realisiert auf dem Kornett, Violine, Posaunen, Dulzian und Orgeln), vereinen Viadanas Psalmen höchsten Erfindungsreichtum und massive Klangfülle.

Kolossale Barockwerke

Gabrieli gilt als Meister des Kolossal-Barock. Er schrieb Musik von großer Opulenz für mehrere Chöre – ein Chor zu verstehen als Gruppe von Sängern oder Instrumenten. Mit seinem Tod hatte die Kunstform der Venezianischen Mehrchörigkeit ihren Zenit erreicht, und Gabrielis bedeutendste Werke wurden posthum in einer Sammlung veröffentlicht. Die ungewöhnlichen Texturen einiger im Druck überlieferter Werke (z. B. das berühmte In Ecclesiis) gelten heute als Beleg für die Modernität des Komponisten. Jedoch existiert eine Notiz von Gabrielis Zeitgenossen Michael Praetorius, die darauf hindeutet, dass einige der uns bekannten schriftlich fixierten Besetzungen reduziert worden sein könnten. Die Aufnahme auf “1612: Italian Vespers” präsentiert Hugh Keytes Ausarbeitung von Gabrielis In Ecclesiis in einer der Urfassung wohl näheren und in ihrer Fülle weit spektakuläreren Fassung.

Musikarchäologisches Pionierprojekt

I Fagiolinis Weltersteinspielung der ebenfalls lange Zeit als verloren geltenden Messe für 40 Stimmen von Alessandro Striggio stieß 2011 europaweit auf ein phänomenales Echo bei Kritikern und Publikum. In Großbritannien schaffte die Aufnahme sogar den Einstieg in die Pop-Charts und gewann den Diapason d’Or de l’annee und den “Early Music Award” des Gramophone-Magazins. Über das neue Aufnahmeprojekt des gefeierten britischen Vokalensembles sagt Leiter Robert Hollingworth: “Die unglaubliche Kraft und Zuversicht von Gabrielis Musik ist geradezu elektrisierend. Wir sind 400 Jahre zurück in das Jahr 1612 gereist, weil der Tod dieses außergewöhnlichen Komponisten zugleich den Abschluss eines Kapitels in der Epoche des Komponierens für mehrchörige Ensembles markiert, die Striggio 50 Jahre zuvor eingeläutet hatte.” Er fügt hinzu: “Es ist aufregend, Gabrielis Magnificat zu neuem Leben zu erwecken, sein In Ecclesiis in einem neuen Gewand zu präsentieren und mit Viadana einen Komponisten zu präsentieren, der – gleich Striggio – einer größeren Öffentlichkeit völlig zu Unrecht praktisch unbekannt ist.”

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