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Mozart oder Salieri?

26.09.2003
MOZART ODER SALIERI? WELCH EINE FRAGE! AM BESTEN NATÜRLICH BEIDE…

Nein, er hat nicht. Antonio Salieri hat Wolfgang Amadeus Mozart mit 99%er Wahrscheinlichkeit nicht vergiftet. Natürlich kommen einem sofort die eindrucksvollen Szenen aus Milos Formans Film “Amadeus” vor Augen, in denen der großartige Fahrid Murray Abraham alias Salieri am Ende seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt mit dämonischem Lachen sich selbst der Untat bezichtigt. Keine Frage, dieser noch immer nicht restlos geklärte Aspekt der Mozart & Salieri-Forschung bietet Stoff für allerhand Spekulatives, und das bereits seit über 200 Jahren!
Denn zwar wurde die Todesursache im Sterberegister offiziell als “hitziges Frisel-Fieber” angegeben, aber bereits Ende Dezember 1791 schossen die Spekulationen ins Kraut: das “Musikalische Wochenblatt” ließ durchblicken, dass man Mozart womöglich vergiftet hätte, “weil sein Körper nach dem Tode schwoll”. Und Konstanze, die Witwe, sowie Carl, der Sohn, taten in der Folge ein Übriges, dass diesem Gerücht bloß nicht die Luft ausginge. Um dem ganzen aber schließlich die Krone aufzusetzen, heftete sich der todkranke Salieri 1823 in geistiger Umnachtung die Tat selbst ans Revers und goss damit neues Öl ins Feuer des zu diesem Zeitpunkt längst verstummten Gerüchtes. Prompt wurde es wieder talk of the town, selbst im fernen Russland, wo es Alexander Puschkin 1830 zu einer seiner vier “Kleinen Tragödien” inspirierte.
 
Dieses Rätsel aber wird wohl auch nie ganz geklärt werden können. Wozu auch, es ändert nichts an der Tatsache, dass ein genialer und nonkonformistischer Komponist im Alter von 35 Jahren gestorben ist. Und dass ihn sein sechs Jahre älterer und zu seiner Zeit deutlich besser im Geschäft stehender Rivale zwar um 34 Jahre überlebt hat, Mozart indes – und auch hier spielt das Wie von Mozarts Tod kaum eine Rolle! – seinem Zeitgenossen in puncto posthumer Wertschätzung klar das Nachsehen gab. Deshalb muss die Frage nicht lauten: Starb Mozart von Salieris Hand?, sondern vielmehr: Was an Salieris Musik faszinierte das Publikum von damals, und warum wendete sich das Blatt später so nachdrücklich gegen ihn?
 
Cecilia Bartoli, dank ihrer Pioniertaten in Sachen Vivaldi und Gluck quasi auf spektakuläre Wiederentdeckungen abonniert, erweist mit ihrem neuen Album dem bis dato noch unter dem weiten Mantel der Musikgeschichte schlummernden einstigen Wiener Hofkompositeur ihre Reverenz. “The Salieri Album” mit 11 Weltersteinspielungen aus Opern, deren Titel man beim besten Willen noch nie gehört haben dürfte: “La sechia rapita”, “La cifra”, “La fiera di Venezia” oder “La grota di Trofonio”…?! “Tja, den Namen Salieri kennt wohl jeder”, seufzt die passionierte Musikarchäologin, “aber nur wenige seiner Werke werden aufgeführt, viele Opern wurden in neuerer Zeit überhaupt nie inszeniert. Ich hoffe aber, dass unsere Aufnahme dazu anregen wird, sich wieder mit einem Komponisten zu beschäftigen, der Ende des 18. Jahrhunderts als einer der bedeutendsten und innovativsten seiner Zeit galt.”
 
Antonio Salieri, Spross einer gutsituierten Kaufmannsfamilie aus dem Veneto, machte schnelle Karriere. 1766 nahm sich der seinerzeit ungemein populäre Komponist Florian Leopold Gassmann (seine “L’opera seria” ist ein Muss für alle Fans von barocken Opernparodien auf höchstem Niveau!) des mittlerweile verwaisten, fünfzehnjährigen italienischen Jugendlichen an – der in der Zwischenzeit bei Giuseppe Tartini in Violine, Klavier und Gesang unterrichtet, und in Venedig von dem adligen Mäzen Giovanni Mocenigo versorgt worden war – und brachte ihn in das Wien Kaiser Joseph II. Keine schlechte Adresse für jemanden, dem eine große Karriere in Musik vorschwebte. Und plötzlich ergab sich eins aus dem anderen: Gassmann führte Salieri bei Hofe ein, dort traf man so ganz nebenbei auf den Dichterfürsten und Weltmeister im Verfassen angesagter Opernlibretti, Pietro Metastasio, und schließlich kam auch noch zufällig der große Opernreformer Gluck des Weges… Es drängt sich geradezu der Eindruck auf, dass Salieri der Ausgangspunkt für die Verbindung von Metastasio und Gluck gewesen wäre. Dem kann die Cecilia Bartoli nur zustimmen: “Der Ansicht bin ich auch. Er kannte nicht nur deren Werke, sondern war ja mit beiden Komponisten auch persönlich bekannt, besonders mit Gluck. Und nach meinem letzten Album, das sich den beiden widmet, war Salieri einfach der nächste logische Schritt, aus historischen Gründen wie aus musikalischen. Von Metastasio übernahm er die Textbezogenheit und die Fähigkeit, beim Schreiben der Gesangsstimme in hohem Masse auf die Metrik und den Inhalt zu achten, und dazu besaß er Glucks Kraft des Ausdrucks.”
 
Die Zeichen der Zeit standen also gut für Antonio Salieri. Er erwies sich darüber hinaus als begabter Dirigent und leitete die Proben für Opernaufführungen am Hoftheater. Und folgerichtig übernahm er schließlich das Amt des Ersten Kapellmeisters für die italienische Oper am Hofe nach dem Tod seines Gönners Florian Leopold Gassmann.
 
Anders aber als uns Peter Shaffer im Schauspiel und Milos Forman im Film weismachen wollen, genoss Salieri bei seinen Zeitgenossen einen ausgezeichneten Ruf, die ihn als “freundlich und gefällig, wohlwollend, lebensfroh, witzig, unerschöpflich in Anekdoten, in Citaten” schildern, als ein “feines, niedlich gebautes Männchen, mit feurig blitzenden Augen, gebräunter Hautfarbe, immer nett und reinlich, lebhaften Temperaments, leicht aufbrausend, aber ebenso leicht zu versöhnen.” Kurz gesagt: ein liebenswerter und keineswegs per se intriganter und hinterhältiger Kollege. Der immerhin, dies sei am Rande erwähnt, nicht nur Beethoven, Schubert, Liszt und Meyerbeer zu seinen Schülern zählte, sondern auch nach Mozarts Tod dessen Sohn Franz Xaver.
 
Schon ab Mitte der 1770er Jahre war Antonio Salieri ein gemachter Mann und die Musikwelt lag ihm zu Füßen. Und dies nicht nur in seiner Wahlheimat Wien, sondern auch im Ausland. Zwischen 1770 und 1780 schrieb Salieri die meisten seiner Opern – ernste wie komische. Sie alle hatten mehr oder weniger langanhaltenden Erfolg, wobei jedoch keine je wieder an den Erfolg von “Armida” heranreichte, die 1771 am Wiener Hofburgtheater in Szene ging und Salieri endgültig zum Star machte. Für Cecilia Bartoli ist die große Szene des Rinaldo aus ebenjener “Armida”, “E non degg’io seguirla… Vieni a me sull’ali d’oro”, nicht nur einer der Höhepunkte in Salieris gesamtem Opernschaffen, sondern auch ihr ausgesprochenes Lieblingsstück auf dem neuen Album. "Das Außergewöhnliche an Salieris Gesangsmusik ist nämlich nicht nur seine Fähigkeit, die Bedeutung der Worte in Musik zu fassen, sondern die Figuren darüber hinaus psychologisch glaubwürdig zu charakterisieren. Insbesondere die Rondos sind ungemein lebendig. Sein sprechen den einzelnen Figuren direkt aus dem Herzen und sind erfüllt von deren Gefühlen. Und das Wichtigste dabei ist, das geht alles sehr unauffällig vor sich. Wenn man etwa an die Szene aus “'Armida' denkt – durch ihre Schlichtheit nimmt sie einen an die Hand und führt einen in die Welt des reinen Gefühls. Vielleicht ist es Salieri in dieser Szene wirklich gelungen, uns eine wenig vom ‘Jenseitigen’ sehen zu lassen…”
 
Wie hoch Antonio Salieris Opern damals wirklich im Kurs standen, beweist die Zahl der Opernhäuser, die während des Booms von Neueröffnungen im 18. Jahrhundert seine Stücke aufführten, am bekanntesten darunter wohl die Eröffnung der Mailänder Scala im Jahre 1778 mit “L’Europa riconosciuta”! Nach einer kurzen Auszeit in Italien wieder zurück in Wien, erhielt er 1781 den kaiserlichen Auftrag von Joseph II.. für seine Abteilung des “Teutschen Singspiels” am Burgtheater die Musik zu “Der Rauchfangkehrer” zu komponieren. Von hier bis zum Wiener Hofkapellmeisterposten, den er 36 Jahre lang (sic!) von 1788 bis 1824 innehatte, war es da nur noch ein kleiner Schritt.
 
Eine kuriose Geschichte am Rande beleuchtet die später bis zum Exzess kolportierte Rivalität zwischen Wolfgang Amadeus Mozart und Antonio Salieri, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts durchaus noch spielerische Züge trug, wenngleich auch im Sinne einer voyeuristischen Unterhaltungsshow des Hofadels. Mitten in der Arbeit an “Le nozze di Figaro” erhielt Mozart 1786 plötzlich einen Kompositionsauftrag nicht ganz ohne Hintersinn: er sollte zu einem eigens für ein höfisches Fest geschriebenes Schauspiel die Musik schaffen. Gleichzeitig erteilte der Kaiser seinem Ersten Kapellmeister für italienische Opern den Auftrag, für denselben Anlass die Musik zu einer Opera buffa zu komponieren. Damit war die Idee eines “Opernwettstreits” zwischen dem bereits etablierten Salieri und seinem ambitionierten Herausforderer geboren. Die Ausgangslage war allerdings ein wenig schief, denn Salieri hatte den bei weitem besseren Librettisten erwischt und dazu noch die Chance, eine durchgängige Oper anstatt wie Mozart nur einzelne Nummern zu einer Schauspielmusik zu komponieren. Es ist leider nicht überliefert, wer am 7. Februar in der Orangerie des Schlosses Schönbrunn den Sieg davontrug – Mozarts “Schauspieldirektor” oder Salieris “Prima la musica, poi le parole”. Auf jeden Fall erhielt Salieri für seinen Beitrag das doppelte Honorar…
 
Versuchen wir einmal, 200 Jahre Rezeptionsgeschichte nach Mozart und Salieri zu vergessen und uns ins Publikum des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu versetzen. Vergessen wir die Legenden um Mozart, den Liebling der Götter, und Salieri, den vorgeblichen Giftmischer. Cecilia Bartoli ist der Ansicht, dass Salieri in einer Zeit großer Umbrüche lebte und es verstand, Glucks dramatische Ideen mit der italienischen Oper zu vereinen. Und damit führte er sie fast bis zur Romantik hin. Nach ihm gab es diese Art ‘übernationaler’ Sprache nicht mehr, denn im Laufe des 19. Jahrhunderts bildeten sich immer stärker einzelne Nationalschulen heraus. Und damit wuchs auch der musikalische Nationalismus, der hinter der ideologischen Maske sehr schnell, mitunter auch völlig ungerecht, über Wohl und Wehe selbst großer Komponisten entschied. Ich glaube, Mozart machte letztendlich das Rennen, weil er Österreicher war und man sich auch in nationalistischen Kreisen schmücken konnte. Für Salieri aber, der in seiner italienischen Heimat als Wiener und in seiner Wahlheimat Wien als Italiener betrachtet wurde, standen die Chancen von vornherein schlecht."
 
Nun geht es der Römerin gewiss nicht darum, das Rad der Musikgeschichte zurückzudrehen und ihrem Landsmann den lange Jahre vorenthaltenen Lorbeerkranz letztlich doch noch aufs Haupt zu setzen. Vielmehr wird Cecilia Bartoli den “Opernwettstreit” von Schönbrunn mit charmantem Augenzwinkern in die Konzertsäle ihrer Tourneestädte und vor die heimischen Lautsprecher zurückholen und beweisen, dass Mozart und Salieri wie zwei Seiten einer jener kostbaren Dukaten sind, die Mozart und Salieri einst für ihre Musik vom Kaiser zugesprochen bekamen: Jeder für sich ein glänzender Mann.
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