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Eine Frage von Genie: Mozart, oder vielleicht doch Salieri?

Cecilia Bartoli
18.09.2003
Spätestens seit Peter Shaffers erfolgreichem Bühnenstück “Amadeus” und, mehr noch, dem gleichnamigen Kinohit von Milós Forman aus dem Jahre 1984 hat sich in unseren Köpfen eine brennende Frage festgesetzt: Hat er’s getan, oder hat er’s nicht getan? Nämlich den armen, gerade einmal 35jährigen Wolfgang Amadeus Mozart, seines Zeichens späterhin einer der Komponisten der Musikgeschichte überhaupt, ermordet? Vergiftet – heimtückisch, von Eifersucht auf den Erfolg des Rivalen zerfressen und mit der Absicht, das Genie in spe hinsichtlich Auftragsvergabe und Nachruhm ein für allemal auszustechen.
Im Film eine grandiose Fiktion, die zu einer spektakulären Handlung von Stück und Film führte, in Wirklichkeit aber keineswegs auf erwiesenen Tatsachen beruht. Bleibt die Frage: Wie beurteilt das heutige Publikum die damalige Schlacht um die Vorherrschaft auf Wiens Opernbühnen? Wem reicht die Hörerin, wem reicht der Hörer das Zepter, nachdem er mit 400 Jahren Musikgeschichte im Hinterkopf den Wiederentdeckungen auf Cecilia Bartolis neuestem Album – “The Salieri Album”: Decca 475 100–2 – gelauscht hat? Um Ihnen diese Entscheidung etwas zu erleichtern, finden Sie im Text verstreut sogenannte “Klassik Links”, nach deren Anklicken wir Ihnen 4 Salieri- und 4 Mozartarien zum direkten Hörvergleich anbieten. Viel Spaß dann also bei Mozart vs. Salieri?
 
Diese sind eher nüchtern, belegen indes, dass zu seiner Zeit Salieri der bei weitem einflussreichere der beiden Komponisten gewesen ist, denn immerhin durfte Salieri Beethoven, Schubert und Liszt zu seinen Schülern zählen. (Da er 34 Jahre länger lebte als Mozart – bei nur sechs Jahren Unterschied zwischen den Geburtstagen – natürlich auch kaum verwunderlich.) Und während Mozart mit viel Aufwand und gehörigen Umwegen versuchte, seine Opern auf der Wiener Hofbühne zu platzieren, schrieb der eifrige Antonio Salieri eine Oper nach der anderen im allseits beliebten, konventionellen italienischen Stil: “Semiramide”, “Falstaff”, “Axur, Re d’Ormus”, “La secchia rapita”* “Eraclito e Democrito”, “Cesare in Farmacusa”… und wie sie alle hießen. Aber, an der Schnittstelle von Metastasios statischer opera seria und Calzabigis und Glucks Reformoper lebend, zeigte sich Salieri nicht nur beeindruckt von dem, was er da hörte, sondern sprang schnell und gern auf die fahrenden Züge, sprich: die neuen Moden auf, und bediente dann praktischerweise den jeweils gerade populären und gewünschten Stil: Als etwa die opera seria ziemlich “out” war, landete er mit seiner Version des “Armida”-Stoffes im neuen reformierten Stil à la Gluck einen nachhaltigen Erfolg. Ebenso mit “Palmira, regina di Persia”*, von der Goethe in einem Brief an Schiller behauptete: “In diesen Wintertagen… ist Palmira ein recht erwünaschtes Geschenk. Ich kann kaum erwarten bis die Oper wieder aufgeführt wird und es geht mehr Leuten so.” Und als später in Wien die opera buffa zu ihrem Triumphzug anhub, ließ Salieris Antwort nicht lange auf sich warten – mit “La grotta di Trofonio”* oder “La cifra”* warf er seinen Namen in den Ring.
 
So erfolgreich und beliebt jedoch Salieris Opern in Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts waren, ihnen fehlte es an Revolutionärem, überraschend Neuartigem. Salieri nahm die Anregungen des musikalischen Zeitgeistes mit bravouröser Leichtigkeit auf und verlieh ihnen bei aller Konvention eine persönliche Note. Aber eine, die dem Ohr schmeichelte. Mozart aber setzte sich mit kühnem Sprung über die Konvention hinweg und irritierte, indem er provozierte. Mit so noch nicht Gehörtem, musikalisch-strukturell so noch nie Dagewesenem. Man denke nur an seinen epochalen “Don Giovanni” oder “Così fan tutte”*. Und selbst, als er am Ende seines kurzen Lebens mit “La clemenza di Tito”* scheint’s die alte opera seria wieder zu beleben schien, tat er es auf seine ganz eigene Art.
 
Mit dem Blick aus der Perspektive von über 200 Jahren später relativiert sich vieles. Weniger das Genie Mozarts, das unbestritten bleibt und das sich in nahezu allen musikalischen Genres als unantastbar erwiesen hat. Aber das Verdikt, dem Antonio Salieri nach Ablauf seiner Zeit allzu schnell anheim fiel, das wurde in den letzten Jahren, zugegebenermaßen eher klammheimlich, korrigiert. Mit Aufnahmen, Aufführungen und einer differenzierten Neubewertung seines Schaffens.
 
Wenn sich nun allerdings ein Superstar der internationalen Opern- und Konzertszene wie Cecilia Bartoli dieses Themas annimmt, kann man beruhigt davon ausgehen, dass Name und Werk Antonio Salieris von nun an in den besten Händen ruhen. Immerhin hat La Bartoli mit ihren Konzeptalben bereits die Renaissance der Vivaldi-Opern (1999) sowie der italienischen Opern Christoph Willibald Glucks (2001) initiiert. Und warum sollte das bei Salieri nun anders sein?
 
* La secchia rapita
Arie: Son qual lacera tartana
(Ich fühle mich wie eine abgetakelte Tartane, die in schrecklichem Sturm von den Wellen bezwungen wird und kentert. […] Es rettet sich und überlebt allein jener, welcher keine Furcht kennt.)
 
*Palmira, regina di Persia
Arie: Misera abbandonata
(Elend und verlassen, ohne Hoffnung und Hilfe werde ich leben, in Tränen und im Schmerz.)
 
* La grotta di Trofonio
Arie: La Ra La
(Welch ein spaßiger Philosoph! In welch einer armseligen Höhle ergeht er sich ständig in tiefsinniger Meditation! La ra lala, ra, la, ra.)
 
* La cifra
Arie: Non vo’gia che vi suonino
Ich will nicht, dass da erklingen Dudelsäcke, Pfeifen oder Schalmeien, Gitarren oder Lauten […] Ich will hier Violinen, Harfen, Oboen, Psalterien, Bratschen und Violoncelli, Querflöten, Fagotte und Kontrabässe…)
 
* Don Giovanni
Arie: Mi tradi
(Donna Elvira beklagt den mehrfachen Verrat ihrer Liebe zu Don Giovanni durch denselben und beschließt, ins Kloster zu gehen)
 
* Cosi fan tutte 1
Arie: Come scoglio
(Nach der unvorhergesehenen Einberufung ihrer Verlobten haben sich potentielle Liebhaber ins Haus der beiden Schwestern geschlichen. Fiordiligi demonstriert jedoch ihre Standhaftigkeit anhand des Gleichnisses vom Felsen in der Brandung.)
 
* Cosi fan tutte 2
Arie: Amor è un l’adrocello
(Nachdem sich die beiden neuen Liebhaber Vorteile vor allem bei Dorabella verschafft haben, setzt diese ihrer noch zögerlichen Schwester auseinander, dass Amor ein kleiner Dieb ist, der die Herzen nur so reihenweise stiehlt.)
 
* La clemenza di Tito
Arie: Non più di fiori
(Nachdem Vitellias, ihrer rasenden Eifersucht geschuldetes Komplott gescheitert ist, verabschiedet sie sich von ihren Träumen und Sehnsüchten, an der Seite des Kaisers als dessen Gemahlin auf dem Thron zu sitzen.)
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