Als der Kommunismus jung war, hatte er für viele Intellektuelle eine enorme Ausstrahlung. Auch Sergei Prokofiev ließ sich davon einnehmen und kehrte nach beinahe zwei Jahrzehnten im Ausland 1935/36 wieder in die Sowjetunion zurück. Damit begann seine späte Phase, die ihn sowohl als Propagandakünstler wie auch als geläuterten Modernisten präsentierte.
Die Skythen waren ein ostiranisches Nomadenvolk, das im achten vorchristlichen Jahrhundert begann, die mittelasiatischen Steppen in Richtung Schwarzes Meer zu verlassen. Zum einen waren sie als halsbrecherische Reiter und hervorragenden Bogenschützen gefürchtet und brachten folglich die vorderasiatische Machtstruktur nachhaltig ins Wanken. Andererseits gehören vor allem ihre aus Gold gearbeiteten Schmuckstücke zum filigransten und ausdrucksstärksten, was die antike Kunst zu bieten hat. So sind sie bis heute mit einem doppelgesichtigen Mythos umgeben, als Barbarenvolk schon von Herodot gebrandmarkt, aber auch als Kultursippe von den Archäologen rehabilitiert.
Sergei Prokofiev allerdings dachte bei den Skythen vor allem an das Raue und klischeehaft Wilde. Seine “Skythische Suite” von 1915 war ein gewaltiges Ballettwerk, das er mit großem Orchester und viel akustischem Brimborium vor allem gewaltig wirken sollte. Ironischerweise kam es unter anderem deshalb zunächst nicht zur Aufführung und musste bis 1921 warten, als man in Paris ein gewisses Modeinteresse an Prokofiev als neuem Stravinsky zeigte. Es wurde ein gewisser Achtungserfolg, allerdings mit dem Hintergrund, dass es als exotistische Tanzsuite eigentlich bereits einer überkommenen Art angehörte. Immerhin schwang in etwa zur gleichen Zeit bereits Josephine Baker ihre Bananenröckchen auf der Bühne.
Das andere Werk, dem sich Valery Gergiev für das Eröffnungskonzert des ersten Moskauer Osterfestivals im vergangenen Jahr vorgenommen hatte, entstammt einer anderen Experimentalphase Prokofievs. Wie viele seiner komponierenden Zeitgenossen wurde er für den Film entdeckt, dessen boomender Aufstieg ständig Nachschub an Musik benötigte. Die siebensätzige Konzertkantate “Alexander Necskij” geht daher auf die Zusammenarbeit mit Sergeij Eisenstein zurück. Und der war außerordentlich angetan von seinem musikalischen Kollegen. Im Jahr 1947 erinnerte er sich an die Kooperation: “Prokofiev arbeitet wie ein Uhrwerk. Das Uhrwerk geht nie vor oder nach. Seine zeitliche Genauigkeit ist ein Nebenprodukt der kreativen Genauigkeit. […] der absoluten Genauigkeit in der Umsetzung musikalischer Vorstellungen in ein mathematisch genaues Ausdrucksmittel, das Prokofiev mit stählernem Zaumzeug eingespannt hat.”
Aus heutiger Sicht wirken Stoff und Umsetzung reichlich martialisch. Immerhin geht es um verschiedene Kampfhandlungen, mit denen der allrussische Großherzog Alexander Nevskij (1220–63) unter anderem die expansiven Deutschordenritter des Landes verwies. Auf der anderen Seite spielt es jedoch mit den akustischen Mythen, die Gergievs Heimat bis heute umgeben. Und deshalb stürzt der Dirigent sich gemeinsam mit dem Orchester und Chor des Marientheaters von St. Petersburg voller Wucht ins akustische Getümmel. Schließlich muss auch das manchmal sein.