Valery Gergiev | News | Die drei von der Vitamin-C-Tankstelle: Prokofieffs "Liebe zu den Drei Orangen"

Die drei von der Vitamin-C-Tankstelle: Prokofieffs “Liebe zu den Drei Orangen”

14.02.2001
Kleines Rätsel für Musikfreunde: Was verbirgt sich hinter “fünfzehn Minuten russischem Jazz mit bolschewistischen Verzierungen”? Nicht mehr und nicht weniger als eine der witzigsten Opern des 20. Jahrhunderts. Sie haben sich noch niemals in eine Apfelsine verliebt? Na, dann wird’s höchste Zeit.
Auch wenn die New Yorker Kritiker 1922 weder mit Prokofieffs Musik noch mit Anisfelds Dekorationen und Kostümen etwas anfangen konnten und die Kosten der Inszenierung als “zu hoch pro Posten Obst” veranschlagt sahen – am Ende irrten sie gewaltig. Denn Sergej Prokofieffs fantastisch-skurrile Märchenoper nach Carlo Gozzis Drama “L’amore delle tre melarance” ist heute die meistgespielte Oper des Komponisten auf den internationalen Opernbühnen.
 
Romeo liebt Julia, Aida liebt Radames und Tristan verzehrt sich nach seiner Isolde. So weit, so gut. Pygmalion verguckt sich in eine Statue, Narziss liebt sich selbst und Offenbachs Hoffmann ist verrückt nach einer Puppe. Aber Südfrüchte? Das wäre eigentlich ein Fall für Dr. Freud, wenn … Ja, wenn es da nicht eine russische Zeitschrift der Jahre 1914–16 gegeben hätte, die sich nicht nur Gozzis Dramentitel bediente, sondern gleich in ihrer ersten Ausgabe ein Loblied auf den italienischen Meister anstimmte und dessen Sinn für jedwede Form von Witz, Satire und Albernheit zum Manifest erhob. Kein Wunder – die Zeichen der Zeit wiesen längst in Richtung Expressionismus, Dada und Surrealismus. Eine Mischung, ganz nach Prokofieffs Sinn fürs Skurrile und Absurde. Und wie das Leben und der Zufall so spielen – im Koffer des 1917 vor den herannahenden Deutschen aus Petrograd fliehenden Prokofieff befand sich eben jene erste Nummer der “Liebe zu den drei Orangen”.
 
Auf dem Weg in die Vereinigten Staaten skizzierte der Komponist 1918 die zentralen Themen der Oper, wie er sie später in einer Suite für Orchester zusammenfasste: das eigentliche Märchen um den Prinzen und Truffaldino, die Geschichte von den Mächten der Unterwelt in Gestalt des guten Zauberers Tschelio und der bösen Fee Fata Morgana sowie das kommentierende Publikum auf der Bühne, das darüber streitet, ob ein Theaterstück tragisch, komisch oder lyrisch sein sollte. Und alles dreht sich um ein Problem: Wie bringt man einen hypochondrischen Prinzen zum Lachen?
 
Nun, am besten, indem man ihn pausenlos mit Späßen und Albernheiten unterhält. Und genau das ist das Rezept von Prokofieffs “Liebe zu den drei Orangen”, die am 30.12.1921 in Chicago erstmals über die Bühne ging – auf französisch unter dem klangvollen Titel “L’amour des trois oranges”! Die neue Einspielung nun unter Valery Gergiev, den man guten Gewissens als den besten musikalischen Anwalt bezeichnen darf, den der Komponist je hatte, stammt aus dem St. Petersburger Mariinskij-Theater, wird natürlich auf Russisch gesungen und heißt daher “Ljubow k triom apelsinam”. Was der Liebe aber keinen Abbruch tut, im Gegenteil. Auch ohne Bühne und Kostüme möchte man sich schier ausschütten vor Lachen über Prokofieffs musikalischen Einfallsreichtum. Und wenn schließlich die gefürchtete Köchin gar im schönsten Bass zu zetern beginnt, dann sind dem intelligenten Spaß Tür und Tor sperrangelweit geöffnet. Wie gesagt, verlieben Sie sich ruhig einmal in drei Apfelsinen – es lohnt sich!