Seiji Ozawa | News | Phantastische Welten – Ravels Oper "L’enfant et les sortilèges"

Phantastische Welten – Ravels Oper “L’enfant et les sortilèges”

Seiji Ozawa
© Decca / Michiharu Okubo
12.08.2015
Maurice Ravel ist eine künstlerische Schlüsselfigur der Moderne. Obgleich er die tonalen Vorgaben der Tradition nicht vollkommen sprengte, erweiterte er doch den Rahmen der musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten erheblich.

Ferne Welten: Ravels Klangteppiche

Seine dicht geknüpften Klangteppiche sind von enormer Farbintensität. Ravel liebte phantastische Welten. Die Wirklichkeit war ihm zu fad für die Kunst. Er begab sich mit Vorliebe ins Reich kindhafter, romantischer und freimütiger Phantasien. Was er dabei schuf, sind berückend schöne Klanggebilde, poetische Stimmungen von meditativer Qualität und geradezu hypnotischer Wirkung. Ravel war ein Meister überraschender, exotisch anmutender Harmonien, und in kaum einem anderen Werk kommt dies gebündelter zur Geltung als in seiner OperL’enfant et les sortilèges (Das Kind und der Zauberspuk).
Die Oper dringt tief in den verspielten Anteil der menschlichen Seele ein. Ravel entdeckt das Kind in uns. Er erinnert uns daran, dass wir Träumer sind, und in der Kunst darf auch der Erwachsene seinen Phantasien nachgehen. Das Saito Kinen Orchestra hat ein feines Gespür für die Nuancenvielfalt in Ravels Musik, und mit “Ravel: L’enfant et les sortilèges, Shéhérazade” legt das japanische Orchester jetzt ein Album vor, das seinen differenzierten Klangkörper großartig bezeugt. Meisterdirigent Ozawa holt alles aus dem Orchester raus. Er achtet auf jedes Detail.

Musikalische Traumsprache: Ozawas Feingespür

Nur mit äußerster Genauigkeit ist die musikalische Traumsprache von Maurice Ravel zu bergen, und das führt der auf dem Album zugänglich gemachte Live-Mitschnitt vom Saito Kinen Festival 2014 eindrucksvoll vor. Mezzosopranistin Isabel Leonard glänzt in der Rolle des verspielten, gelangweilten und exzentrischen Kindes, in das sie sich herrlich einfühlt. Man lauscht gebannt ihrem Gesang. Nicht minder soghaft ist die Stimme von Mezzosopranistin Yvonne Naef. Sie singt die besorgte Mutter des Kindes.
Gelungen abgerundet wird das Album mit “Shéhérazade” und der orchestrierten Fassung des Klavierstücks “Alborada del gracioso”, zwei weiteren Meisterwerken Ravels. Bei “Shéhérazade” handelt es sich um drei Orchesterlieder zu Gedichten von Tristan Klingsor. Hier kommt man in den Genuss des bebenden Mezzosoprans von Susan Graham. “Alborada del gracioso” wird von Anne Dunkel in ihrem ansprechenden CD-Booklet-Essay treffend “zu Ravels spektakulärsten spanischen Stücken” gerechnet.