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Schumann Update

31.01.2007
Originalität ist eine Sache, mitfühlendes Verständnis eine andere. Gustav Mahler gehörte zu den kritischen und zugleich ehrlichen Zeitgenossen seiner Ära, dem vor allem an der optimalen Umsetzung potentieller, in Musik verborgener Ausdruckskraft lag. Das hatte zur Folge, dass er zum einen als Dirigent gefürchtet war, weil er den Orchestern ein Maximum an Konzentration und Feinarbeit abverlangte. Es führte aber auch dazu, dass er als eine Art Lektor von in der Anlage bereits genialen, in der Ausführung aber zuweilen verbesserungswürdigen Werken fungierte. Einer der Nutznießer von Mahlers umfassendem künstlerischem Verständnis war unter anderem sein romantischer Kollege Robert Schumann, dessen Sinfonien in Phasen euphorischer Emphase entstanden, aber nicht immer das Optimum an orchestraler Umsetzung erreichten. Aus diesem Grund wurden diese Werke  überarbeitet und nun von Riccardo Chailly, der sich wiederum während des vergangenen Jahrzehnts einen Namen als wichtiger Mahler-Interpret gemacht hat, gemeinsam mit dem Gewandhaus-Orchester aufgenommen.
Gustav Mahler ging behutsam vor. Schließlich wollte er niemanden korrigieren oder gar kompromittieren, sondern schlicht eine großartige Musik in ihrer Ausdruckspalette optimieren. Als er 1898 zum Leiter der Philharmonischen Konzerte der Wiener Philharmoniker ernannt wurde, machte er sich daher zunächst an die Bearbeitung von Robert Schumanns erster Sinfonie, die er zusammen mit einem redigierten Beethoven-Streichquartett und der “1812-Ouvertüre” von Tschaikowsky im Januar 1899 aufführte. Um die übrigen sinfonischen Werke kümmerte er sich rund ein Jahrzehnt später, als er schließlich in New York angekommen war. Wichtig war ihm, dem Original soweit als möglich zu folgen, es allerdings in Fragen der Dynamikgliederung, des Tempos und der Klangtransparenz zu verbessern. Da Schumann kein besonders begabter Orchestrator gewesen war, war dieses Unterfangen trotz großartiger Vorlagen ein gutes Stück Arbeit. Im Falle der 2.Sinfonie nahm Mahler immerhin 355 Revisionen vor, in der 4.Sinfonie sogar 466. Dabei handelte es sich in der Regel um Veränderungen der Instrumentierung, um Neudeutungen der Lautstärke-Kontraste, manchmal auch um Farbänderungen, indem er etwa die Streicher eine Passage pizzicato anstatt arco anstimmen ließ. Alle Retuschen sind daran orientiert, einzelne Sachverhalte klarer hervor zu heben und so stellen die Bearbeitungen eine deutliche Verbesserung der Orchesterklangs dar, auch wenn sie nicht allzu oft als solche von den Dirigenten angenommen werden. Ideen von Authentizität und Originalität stehen bis heute einem Verständnis der Sinfonien im Mahlerschen Sinne gegenüber, und so gehört es zu den wichtigen Aufgaben Riccardo Chaillys, mit diesen Orchesterfassungen ein historisch ungenügendes Bild zu revidieren.

Allerdings nimmt er sich nicht nur der beiden Sinfonien Nr.2 und Nr.4 an, sondern auch einem weiteren Stiefkind aus Schumanns Werkfamilie, das über die Jahre hinweg nicht viel Gegenliebe erfahren hat. In den 1840ern hatte sich der Komponist mit dem Gedanken getragen, eine Oper zu schreiben, brauchte allerdings lange, bis er sich für einen geeigneten Stoff entschied. Er wählte schließlich Friedrich Hebbels Tragödie “Genoveva”, die Robert Reinick in ein Libretto umarbeitete. Das jedoch missfiel Schumann erneut, und so kam es zu weiteren Verzögerungen. Währenddessen hatte er seinen Kollegen Richard Wagner kennen gelernt, der wiederum an revolutionären Opernideen arbeitete. Inspiriert und fasziniert stellte Schumann die “Genoveva” fertig. Sie wurde 1850 in Leipzig uraufgeführt, fiel mit Pauken und Trompeten beim Publikum durch und führte nur weiter dazu, dass sich der Komponist in seine psychischen Innenwelten zurückzog. Im Repertoire geblieben ist vor allem die “Genoveva”-Ouvertüre als knapp zehnminütiges Konzertstück, das Chailly als Bindeglied zwischen den beiden umfassenderen Sinfonien einsetzt. So entstand im vergangenen Herbst eine ungewöhnlich präsente und vielfarbige Aufnahme, die den bisherigen Trend bestätigt, den die Times bereits andeutete: “Was ist mit dem Gewandhaus-Ensemble passiert? Das Orchester klingt wie neu geboren. Der offensichtliche Grund dafür ist die Ankunft von Riccardo Chailly”.
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