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Bach ohne Grenzen – Der nächste Streich von Riccardo Chailly mit Ramin Bahrami und dem Gewandhausorchester

Riccardo Chailly & Ramin Bahrami © Ugo Della Porta / UMG
© Ugo Della Porta / UMG
24.06.2011
Für gewöhnlich lässt die Musikwissenschaft das Klavierkonzert in seiner modernen künstlerischen Form mit Mozart beginnen. Denn da ist es eindeutig, dass mit dessen Werken sich das Instrument aus dem Funktionszusammenhang des Orchesters löste und als eigenständige Stimme in Kommunikation mit dem Ensemble trat. Insofern ist es ein gewagter Schritt, diese künstlerische Unabhängigkeit auch für Werke des Barocks geltend zu machen. Riccardo Chailly, der sich zur Zeit zusammen mit dem Gewandhausorchester in umfassender Form dem Schaffen Johann Sebastian Bachs widmet, findet jedoch, dass man dessen Klavierkonzerte durchaus in einem modernen Sinne interpretieren kann und soll. „Man muss Bachs Klavierkonzerte als ein Ganzes betrachten, nicht nur als Dialog zwischen Klavier und Orchester, wie wir normalerweise denken, wenn wir uns das ansehen, was unmittelbar vor und nach Bach geschrieben wurde“, meint Chailly in einem Kommentar zu seiner aktuellen Aufnahme. „In der Musik des Meisters ist jedes einzelne Teil eine Quelle für die anderen und sie arbeiten zusammen, um eine perfekte Polyphonie zu schaffen“.

Dabei ist es nicht nur möglich, sondern sogar unabdingbar, Bach in einem umfassenden Sinne zu verstehen. „Bach ist der universellste und kosmopolitischste Komponist, den wir bis heute haben, weil sein Denken keine Grenzen kannte“, ergänzt der aus dem Iran stammende Pianist Ramin Bahrami, der sich im Laufe der vergangenen Jahre ebenfalls ausführlich mit des Oeuvre des Barock-Genius beschäftigt hat, die Erörterungen des Dirigenten Chailly. Seine Aufnahmen der „Wohltemperierten Klaviers“, der „Kunst der Fuge“ oder auch der „Goldberg-Variationen“ gelten unter Kennern als herausragende Interpretationen und prädestinieren den Künstler, der übrigens auch selbst als Komponist aktiv ist, sich den Klavierkonzerten zu widmen.

Aufgenommen wurden die „5 Klavierkonzerte BVW 1052 – BWV 1056“ im Mai 2009 im Leipziger Gewandhaus. Grundlage war die Urtext-Ausgabe der Konzerte von Werner Breig, die als Ausgangspunkt dienen konnte, um möglichst historisch adäquat und zugleich gestalterisch zeitgemäß die Werke zu interpretieren. Dabei erweisen sich die Konzerte als ebenso zeitgenössisch auf unmittelbare Eindrücke der 1740er Jahre bezogen – Bahrami entdeckt beispielsweise im Konzert BWV 1053 klar die Umsetzungen der Thüringer Stimmungen in der Musik – wie epochenübergreifend, wenn etwa melodische Motive desselben Konzerts unmissverständlich spätere Koryphäen von Mendelssohn bis Mahler beeinflusst haben.

Das Pendant BWV 1054 wiederum beeindruckt durch sein brachiales Tempo, andere Werkausschnitte verweisen indirekt bis in die Heimat des Solisten, wie etwa das Konzert BWV 1056: „Sobald ich angefangen hatte, mich damit zu beschäftigen, erinnerte es mich an ein iranisches Lied, das ich aus meiner Kindheit kannte“. Auch wenn diese Querverbindungen im persönlichen Umgang Bahramis mit der Musik begründet sind, so zeigen solche Beobachtungen doch einmal mehr, wie kulturell universell und zugleich inhaltlich umfassend die Musik von Johann Sebastian Bach verstanden werden kann. Und das ist ein Kennzeichen von wirklich großer Kunst.
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