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Harmonische Schönheiten – Nelson Freire legt fulminantes Bach-Album vor

Nelson Freire
© Decca/ Anna Oswaldo Cruz
03.03.2016
Eigentlich ist er ja ein Romantiker. Mit Beethoven, Chopin und Liszt ist er groß geworden. Emotional geladene und technisch anspruchsvolle Musik ist seine Domäne.

Von unbestechlicher Eleganz: Nelson Freire

Doch wer Nelson Freire, diesen bodenständigen, äußerst sympathischen Mann, in den letzten Jahren auf der Bühne erlebt hat, der mochte sich fragen, wie dieser Pianist wohl Bach interpretiert. Denn so raumgreifend und kraftvoll sein romantisches Klavierspiel auch war, Freire ließ stets eine meditative, stille und hochkonzentrierte Seite seines Temperaments durchscheinen. Sein Spiel war zuletzt von einer unbestechlichen Eleganz und Transparenz.
Der 1944 im Bundesstaat Minas Gerais/Brasilien geborene Meisterpianist ist mit vorgerücktem Alter noch einmal richtig durchgestartet. Die frühen und mittleren Jahre waren geprägt von hoher Virtuosität und romantischer Leidenschaft. Freire brillierte am Flügel. Er riss sein Publikum regelrecht mit. Die Romantiker liebt er bis heute, wie seine jüngeren Veröffentlichungen mit Werken von Beethoven oder Chopin eindrucksvoll beweisen.

Pointiertes Spiel: Die Lust an Harmonien

Doch wer genau hinhört, der spürt, dass Freire seinem ursprünglichen Stil etwas Neues hinzugefügt hat. Die großen Gesten interessieren ihn nicht mehr so stark. Er beherrscht sie zwar immer noch und kann sein Publikum wie früher mit wuchtigen Kompositionen von Beethoven oder Liszt begeistern. Aber er konzentriert sich in den letzten Jahren mehr und mehr auf die zarten Momente der Kunst. Sein Spiel ist weicher geworden und zeugt von einer unbändigen Lust an differenzierten Harmonien.
Und jetzt Bach! Der Moment hätte nicht passender sein können. Freire hat sich den Komponisten ausgesucht, bei dem er seine Lust an harmonischen Schönheiten und seine Detailfreude am besten zur Geltung bringen kann. Sein klares, pointiertes Spiel passt kongenial zu dem Eisenacher Altmeister, und so überrascht es nicht, dass ihm mit seinem ersten Bach-Album überhaupt ein wahrer Coup gelungen ist.

Kurzweilig ediert: Highlights von Bach

“Nelson Freire: Bach” ist ein grandioses Album. Der brasilianische Pianist demonstriert mit jedem Takt, wie vertraut ihm Bach ist. Es ist, als hätte er nie etwas anderes gespielt, so natürlich, so unakademisch und stimmig klingt seine Interpretation. Zugleich weiß er ureigene Akzente zu setzen. Sein romantisches Temperament verschafft sich diskret Ausdruck, wenn er zum Beispiel mit sehr viel Gefühl “Nun komm der Heiden Heiland” in der Transkription von Busoni oder “Jesu bleibet meine Freude” in dem Arrangement der britischen Pianistin Myra Hess spielt. Überwältigend ist “Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ”, ebenfalls in der Transkription von Busoni.
Filmliebhaber kennen diesen Bach-Choral aus Tarkowskis Science-Fiction-Klassiker “Solaris”. Der russische Filmemacher wusste, dass sich Bachs Musik hervorragend eignet, um poetische Stimmungen zu erzeugen, und genau diese Eigenschaft von Bachs Kunst stellt auch Nelson Freire immer wieder eindrucksvoll unter Beweis. Die Partita Nr. 4 mutet bei Freire prachtvoll und sinnlich an, während die Englische Suite Nr. 3 durch ihren energischen Vortrag überzeugt. Die Chromatische Fantasie und Fuge beweist einmal mehr Bachs Modernität, und ihr schmiegt sich ein Romantiker wie Nelson Freire äußerst geschickt an. Kurz: Ein erfrischendes, poetisch und atmosphärisch eindringliches Bach-Album!
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