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„Mit Beethoven muss man ringen“ – Daniel Barenboim und die Sonaten

Daniel Barenboim am Klavier
© Felix Broede / DG
09.10.2012
Ein besonderer Reiz liegt in der Chronologie. Beethoven komponierte seine Sonaten über den Zeitraum eines Vierteljahrhunderts hinweg, während er sich selbst vom gefeierten Jungstar der Wiener Szene zum ertaubenden Titan der musikalischen Klassik veränderte. Das wiederum fasziniert im Nachvollzug der musikalischen Entwicklung, stellt aber auch große Ansprüche an die darstellende Kompetenz des Interpreten. “Mit Beethoven muss man ringen”, meinte Daniel Barenboim unlängst in einem Interview. “Bei diesem größten aller Komponisten stößt man immer auf Widerstand, man muss sich mit seinen visionären Qualen auseinandersetzen. Nie ist reine Virtuosität um ihrer selbst willen verlangt. Man muss ihn drängen oder zerren, selbst wenn er manchmal einfach stillsteht, stur wie er ist.”

Die große Herausforderung

Daniel Barenboim hat sich ein Leben lang mit Beethoven beschäftigt. So ist es kein Wunder, dass er aus Anlass seines 70.Geburtstags gerade dessen Werke im Rahmen der Projektes „Beethoven für alle“ ausgewählt hat, um sie vielen Menschen nahe zu bringen. Dabei ist für ihn klar, dass gerade dieses Oeuvre besonders viele Aspekte zu bieten hat, die sich für neue und umfassende Deutungen wie auch zum Entdecken anbieten. „Wenn man aber Beethoven spielt, so gibt es keine Regeln“, erklärt der Pianist, Dirigent und Chef der Staatsoper unter den Linden seinen eigenen Zugang zu Beethovens Sonaten. „Tatsächlich glaube ich nicht, dass es überhaupt irgendeine Regel gibt, die man nicht auch brechen könnte. Das ist die Moral der Musik — vorausgesetzt, man tut es auf eine intelligente Weise und mit einem expressiven Anliegen. Wenn man eine Wahl hat, dann ist vorrangig maßgebend, was zuvor war und was danach kommt.“

Erfahrung und Neugier

Das Besondere, das Daniel Barenboim an Beethovens Sonaten herantragen kann, ist seine umfassende Erfahrung auf vielen Feldern des kulturellen, künstlerischen Lebens. Er kennt Musik aus der Warte des Dirigenten, der sie in einem großen Klangkörper wachsen lassen kann, aber auch als Kulturaktivist, der durch sein Engagement etwa mit dem West-Eastern Divan Orchestra die Kraft der Musik auf der Ebene der Bewusstseinsbildung, der Veränderung, der Hoffnung erlebt. Vor allem aber ist er seit Beginn seiner Karriere in den Sechzigerjahren ein herausragender Pianist, der Musik mit profundem Strukturempfinden und Liebe zum Detail immer von innen heraus verstanden hat.

Mit diesem Erfahrungsschatz machte sich Daniel Barenboim im Jahr 2005 ans Werk, um im Saal der Staatsoper unter den Linden alle 32 Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven aufzunehmen. Es wurde eine vielfach gefeierte Einspielung, die nun erstmals in einem Schuber zusammengefasst als 10CD-Box mit umfangreichen Liner Notes und Reflexionen des Künstlers zum Werk des Komponisten und den Möglichkeiten zeitgemäßer Interpretation erscheint. Es ist einer der Höhepunkte dieses Klassikherbstes und ein Herzstück der Edition „Beethoven für alle“. Und es ist eine letztlich zeitlose Sammlung der Meisterwerke, die auch Barenboim weiterhin beschäftigen: „Gerade Beethoven bleibt ewig aktuell. Seine Musik beschäftigt sich wahrhaftig mit der Vollkommenheit und der innersten Natur des menschlichen Daseins. Es geht in ihr um die Notwendigkeit, bis ans Äußerste zu gehen. Sie schreckt auch vor Extremen nicht zurück. Aber ihre ewig währende Botschaft ist die, dass aus dem Chaos, aus dem Kampf, eine neue Ordnung erwächst.“
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