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Hausmusik für Fortgeschrittene

23.05.2003
Sylvester Paumgartner wollte gerne ein besonderes Klavierquintett. Schön sollte es klingen, nicht zu schwer verständlich sein und ein Kontrabass sollte auch verwendet werden. Schubert fand nichts dabei, und so schrieb er sein “Klavierquintett A-Dur” nach den Wünschen des musikenthusiastischen Auftraggebers. Dass er damit eines der wegweisenden Werke der Kammermusik verfasste, stellte sich erst im Laufe der Jahre heraus.
Franz Schubert konnte ein bisschen Geld schon gebrauchen. Nachdem ihn sein Vater aus dem Haus geworfen hatte – die Vorwürfe waren Arbeitsscheu und mangelnder Lerneifer, den er als Hilfslehrer an der Lichtentaler Trivialschule sich nicht leisten konnte – schlug er sich mehr schlecht als recht als freier Komponist durch. Zwar fand er 1818 einen Job als Klavierlehrer für die Töchter der gräflichen Familie Esterházy, doch behandelte man ihn dort derart abschätzig, dass er sich nicht wohlfühlen wollte. So blieb Schubert auf die Unterstützung von Freunden und Gönnern angewiesen. Und so freute er sich auch über jede Offerte, die ihm ein paar sorglose Wochen verschaffte. Im Sommer 1819 zum Beispiel hatte ihn der musikbegeisterte Steyrer Sylvester Paumgartner in dessen Landhaus eingeladen. Da der Gastgeber gerade von J.N. Hummels Septett op. 74 hingerissen war, das seit 1816 auch in Quintett-Version mit Kontrabass vorlag, fragte er Schubert, ob er ihm denn auch ein Klavierquintett mit ähnlicher Instrumentierung schaffen könnte.
 
So entstand eines der ungewöhnlichsten und zugleich beliebtesten Werke der Kammermusik. Schubert nützte den Auftrag, um ein wenig mit Form und Klang zu experimentieren. Sowohl die Fünfsätzigkeit, als auch die Instrumentierung mit Kontrabass statt zweiter Geige, schufen neue Perspektiven. Endlich konnte etwa das Cello ausführliche melodische Funktionen übernehmen. Und auch die Gesamtwirkung war rund, volumenreich zu zugleich transparent. Das später nach der eingefügten Variationenfolge über Schuberts Lied “Die Forelle” benannte Klavierquintett wurde zum Paradebeispiel ökonomischen Komponierens, zum Muster für Klangentfaltung im kleinen Ensemble. Und es traf mit tanzhafter, zuweilen im Volkston gehaltener Charakteristik den Geschmack nicht nur seines Auftraggebers sondern auch von Generationen nachfolgender Musiker und Zuhörer.
 
Rund dreißig Jahre früher entstand bereits der Klavierquartett g-moll K 478 von Wolfgang Amadeus Mozart. Es war ursprünglich für den freien Markt geschrieben, stellte sich jedoch als kommerzieller Misserfolg heraus. Denn es war viel zu schwer für den galanten Geschmack der Wiener Publikums und erst recht nahezu unspielbar für familiäre Ensembles, die sich an Hausmusik versuchten. Mozart hatte es nicht dabei belassen, ein Klavier mit drei Streichern zu rahmen, sondern er gab allen Beteiligten eine gleichwertige musikalische Funktion. Die finstere Tonart, die ausgefeilte Spannungslenkung bis hin zur dramatischen Entladung am Beginn der Reprise und der gewaltigen Steigerung am Ende des Satzes – solche kompositorischen Meisterleistungen erforderte erfahrene und verständige Interpreten, die mit der Konzeption des gesamten Werkes etwas anzufangen wussten. Und deshalb ist es gerade dann ein Genuss, das Klavierquartett ebenso wie das Forellenquintett zu erleben, wenn herausragende Musiker wie der Pianist Alfred Brendel und der Geiger Thomas Zehetmair sich ihrer annehmen. Im September 1994 im Reitstadel von Neumarkt aufgenommen, wirken die beiden Werke so frisch und vital, als seien sie eben erst erdacht worden. Das ist die eigentliche Kunst, trotz zahlreicher bereits vorhandener Varianten des Themas wieder von vorne anzufangen und große Musik voller Leichtigkeit wie neu erklingen zu lassen.
 
Die Referenz:
 
“..weit mehr als eine Stunde Musikgenuß pur.” (P. Kerbusk in FonoForum 2/96)
 
Näheres zur Referenz-Reihe unter http://www.referenzaufnahmen.de
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